Tanz unter Sternen
heran. »Die Männer finden das sicher reizvoll.« Sie sagte es mit säuerlichem Gesichtsausdruck. »Können Sie denn gar nichts anderes? Wie sind Sie in diesen Beruf hineingerutscht?«
»Ich bin da nicht hineingerutscht. Ich liebe das Tanzen. Für mich gibt es nichts Schöneres.«
»Und Ihre Mutter konnte Ihnen nichts anderes verschaffen?«
»Das will ich ja nicht, ich tanze gerne!« Grundgütiger, begriff sie es nicht?
»Naja, aber als Beruf …«
Nele sah zum Fenster hinaus. Der Zug ratterte über eine Brücke, neben ihnen ging es tief hinab in ein Flusstal. Sie dachte: Ich hätte es sowieso nicht länger ausgehalten zu Hause. Gut, dass ich gegangen bin.
Als Matheus den Schlüssel im Türschloss hörte, sprang er auf, schnappte die Schiffskarten und stürmte damit in den Flur. Er hielt sie hinter dem Rücken versteckt, während Cäcilie die Tür öffnete. »Wir machen es«, sagte er.
Sie sah ihn stirnrunzelnd an.
»Ich habe Fahrkarten ins Abenteuer, Karten für die Titanic!« Er holte sie hervor.
Cäcilie stand wie angefroren da.
»Hab sie vorhin gekauft. Das Konto ist leer, aber wir schaffen das schon, wir leihen uns was für die Kohlen im Winter.«
Sie sagte: »Du scherzt, oder? Hast du wirklich …?«
War sie erbost? Das war doch, was sie sich gewünscht hatte! Er hielt ihr die Karten hin. »Die Titanic fährt nächste Woche, wir müssen zum Hafen von Cherbourg. Eigentlich kannst du gleich mit dem Packen beginnen.«
Sie las halblaut, wie für sich selbst: »White Star Line. Second Class Passenger Ticket per Steamship Titanic. Sailing from Cherbourg.« Da ging ein Strahlen über ihr Gesicht. Sie fiel ihm um den Hals, küsste ihn, küsste sein Gesicht, die Augen, die Stirn, die Wangen und den Mund, sie küsste ihn so stürmisch, dass ihr der Hut vom Kopf fiel.
Matheus badete in ihrer Zuneigung. Sein ganzer Körper jubelte vor Glück. »Ich denke so viel an dich«, sagte er und hob den Hut auf, »heute hab ich sogar gedacht, ich sehe dich im Café Bauer, stell dir vor, ich schaue schon fremden Frauen nach und denke, das wärst du, vor lauter Sehnsucht!« Er grinste.
»Was du so siehst«, sagte sie.
»Wir machen Ferien auf dem größten Schiff der Welt!«
Sie fragte: »Und du musst nichts arbeiten?«
»Ich werde sicher ein paar Vorträge in Amerika halten müssen, das Moody Institute bezahlt mir schließlich die Überfahrt. Aber wir kommen hier endlich mal raus. Keine Nachbarn, keine Kirchgemeinde.«
Cäcilie legte ihre Arme um ihn. »Versprich mir eins: Du verrätst niemandem an Bord, dass du Pastor bist.«
»Ich verspreche es.«
»Sonst kommen die nämlich gleich an und wollen etwas von dir. Diesmal will ich dich nur für mich haben!«
»Das wirst du, mein Schatz. Und wenn wir in Amerika sind, findest du schon eine Beschäftigung. Es gibt viel zu sehen dort, du kannst mit Samuel Ausflüge machen.«
Sie löste die Umarmung. »Wie lange bleiben wir denn?«
»Das klingt, als würdest du dir wünschen, bald heimzukehren.«
»Nein, nein. Es ist nur … Damit ich planen kann.«
7
A bseits der Vorzeigestraßen mit elektrischen Bogenlampen, abseits der neuen Warenhäuser Tietz und Wertheim und KaDeWe mit ihren großzügigen Lichthöfen, Glaskuppeln und Dachgärten verlor sich der Glanz Berlins rasch im Häusermeer. Kanäle durchfurchten die Stadt, und Dampfschiffe zogen keuchend darauf ihres Weges, vorbei an Fabriken, Baracken, Baustellen und Materialbergen, und transportierten Äpfel, Eisen oder Holz.
Aus Schloten wölkte schwarzer Qualm in die Straßen. Maschi nen rissen und röhrten, sie husteten Öl und Staub und Rauch. Flie gende Händler, Bettler, Sandwichmänner, Straßensänger kämpf ten um ihr Überleben. Jungen verteilten Flugblätter, um sich etwas für den knurrenden Magen zu verdienen. Beladen mit ihren wenigen Habseligkeiten, zogen verarmte Berliner von einer trostlosen Wohnung in eine noch trostlosere oder in einen soeben fertiggestellten, noch feuchten Neubau, den sie trocken wohnten, bis man die frisch verputzte Wohnung zahlungskräftigeren Mietern anbieten konnte.
Inmitten des Molochs Berlin erhob sich das von eisernen Streben umfasste Gasreservoir, es stieg und sank wie der langsame Atem eines Riesen, der Atem der Stadt Berlin. Dort trafen sich zwei Männer unter einer Gaslaterne.
Lyman sprach nicht mit dem charmanten britischen Akzent wie am Vormittag im Café Bauer, als er Cäcilie Singvogel becirct hatte. Sein Deutsch war tadellos, seine Gesichtszüge hart. Er zog an
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