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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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Schiff«, sagte Matheus, »irren Menschen herum. Meinen Sie, wir lassen unseren Sohn in diesem Chaos zurück? Da liegen Sie falsch. Nicht wahr, Cäcilie?«
    »Es bleibt keine Zeit!« Lyman redete immer eindringlicher. »Wasser spült in die Kesselräume. Wir haben Schieflage. Wenn Sie sich über die Reling beugen, sehen Sie, dass die vorderen Bullaugen bereits versinken. Diese Menschenmenge, und dann die paar Boote! Es ist nicht für jeden Platz.«
    Die Erkenntnis, dass der Engländer recht hatte, wühlte sich in seinen Verstand wie ein unnachgiebiges Insekt. Wir gehen unter, dachte er, deshalb tragen wir die Schwimmwesten. Es ist keine Vorsichtsmaßnahme. Die Titanic ist verloren. Er sah auf das Nachtmeer hinaus. Diesmal war kein Land in Sicht und kein zweiter Dampfer, der sie retten konnte. Da waren nur Wasser und Finsternis.
    Andererseits war dem Agenten zuzutrauen, dass er das Unglück für seine Zwecke ausnutzte. »Wo ist unser Sohn?«, fragte Matheus und sah ihn böse an.
    »Wie gesagt, ich bin sicher, er ist längst in einem der Boote.«
    Hatte Lyman vielleicht Samuel entführt? Pflanzte er die Angst bewusst in sie ein, verfolgte er ein Ziel damit? Womöglich war die Titanic gar nicht verloren, und der Agent wollte sie das nur glau ben machen. »Sie lügen«, sagte Matheus. »Sehen Sie nicht die Lichter überall? Wenn die Kesselräume geflutet wären, würde es keinen Strom mehr geben.«
    Lyman presste die Zähne aufeinander, man sah seine Kiefermuskeln hervortreten. »Jetzt denken Sie einmal nach«, sagte er scharf. »Was glauben Sie, wozu der Strom gebraucht wird? Natürlich arbeiten Heizer und Ingenieure dort unten, auch wenn ihnen das Wasser schon bis zum Hals steht. Die lassen die Generatoren so lange laufen, wie es geht, damit der Funker Notsignale senden kann!«
    Am Bug startete eine Rakete, sie flog höher und höher und zog einen Funkenschweif hinter sich her. Die Blicke der wartenden Passagiere folgten ihr. Hoch oben im Himmel explodierte sie mit einem Knall. Zwölf weiße Sterne sanken herab, leuchteten und verloschen.
    Lyman sagte: »Sie wissen doch sicher, was Raketen auf See bedeuten.«
    Ein Hilferuf an andere Schiffe, dachte Matheus. Das hieß, der Funker hatte niemanden erreicht. Er schluckte trocken. »Und Sie sind sicher, dass die Boote nicht ausreichen?«
    »Es sind zwanzig Boote, in jedes passen sechzig oder siebzig Menschen. An Bord haben wir, Passagiere und Besatzung zusammengerechnet, zweitausendzweihundert Menschen. In der ersten Klasse lassen sie die Boote schon zu Wasser, nur halb gefüllt, weil die Zeit drängt. Ich kann Ihre Frau retten. Ich bringe sie dorthin.«
    Matheus zögerte. Wenn ich umkomme, dachte er, bleibt er mit ihr zusammen. Er weiß, dass ich das denke, und weiß auch, dass mir Cäcilies Überleben wichtiger ist. Er holte tief Luft.
    Schließlich umarmte er Cäcilie. Als er sie wieder losließ, tauchten die Lichter einer weiteren explodierenden Rakete ihr Gesicht in ein gespenstisches Weiß. »Geh mit Mister Tundale. Bring dich in Sicherheit. Ich suche Samuel.«
    »Ich gehe nirgendwohin ohne dich.«
    »Du hast gehört, was er gesagt hat.«
    »Und was ist, wenn du für Samuel und dich keinen Platz mehr in einem Boot findest? Das ergibt doch keinen Sinn.«
    »Für Samuel bekomme ich einen Platz. Geh!«
    »Ich liebe dich«, sagte sie. »Wir haben viel gestritten, es war nicht immer leicht. Aber ich würde dich wieder heiraten, Matheus.«
    »Ich liebe dich auch, Cäcilie.« Er küsste sie.
    Sie sagte: »Ich verstehe das nicht. Ich will nicht gehen.«
    Du sollst leben, dachte er, und wandte sich ab. Als er sich aus der Menschenmenge noch einmal umdrehte, sah er, wie Lyman sie fortzog.
    Seltsam, was die Heizer da taten. Sie öffneten die Kesseltüren und schütteten aus Eimern Wasser in die Öfen. Heißer Dampf paffte in die Halle, es knallte und zischte. Sie schlossen die Klappen wieder. Dampfschwaden füllten bald den ganzen Raum. Die elektrischen Ventilatoren an der Decke drehten sich nutzlos und verteilten den Dampf um. Es fiel Samuel schwer, die heiße Luft zu atmen.
    Warum löschten sie die Feuer? Durfte die Titanic nicht weiterfahren? Dann musste man den Passagieren wohl doch vom Leck erzählen. Dabei waren die Pumpen erfolgreich, auf dem Boden glänzten nur noch Pfützen, und aus dem Stampfen war ein Schlürfen geworden. Selbst wenn die Titanic auf der Stelle stand, brauchte sie die Feuer in den Kesseln für die Heizung, den Strom, die Küche. Es kam ihm vor, als

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