Tapas zum Abendbrot
man vor allem eines sein: extrem lernfähig. Internationale Paare wie wir werden das mit den Jahren zwangsläufig. Wir lernen dazu â aus einer Aneinanderreihung von Missverständnissen, Erklärungen, Diskussionen, Streitigkeiten, Gesprächen, Aha-Momenten. Wenn wir Glück haben, machen wir es schon nach dem ersten groÃen Streit besser: nehmen den lauten Tonfall nicht so wichtig, sagen »hai« anstatt nur zu nicken, knallen nicht vor Wut mit der Tür. In den meisten Fällen aber braucht es viele Anläufe, ehe wir uns an all das gewöhnt haben. Ehe wir die Regelwerke und Fallstricke der Kommunikation in einer anderen Kultur verstehen. Und begreifen, dass Unterhaltung eben auch aus Nicht-Sprechen besteht. Florian etwa sagt, manche deutschen Männer würden denken, dass es mit einer japanischen Frau ganz einfach sei. Die widerspreche ja schlieÃlich nie. »Dass es aber viel anstrengender ist, wenn man immer erahnen muss, wenn etwas nicht stimmt«, sagt er, »das merken die erst viel später.«
Wie das ist, wenn man für die Liebe in ein anderes Land zieht
(und warum das ganz schön einsam machen kann)
KOPENHAGEN, 15. AUGUST
Im Dänischen gibt es ein ganz wichtiges Wort: »Hygge«, das bedeutet Gemütlichkeit. Für einen Dänen ist es ausgesprochen wichtig, dass etwas »hyggelig« ist. Eigentlich kann das fast alles sein. Ein Abend etwa, oder das Sofa. Der Urlaub, ein Telefonat. Gemütlichkeit kennt in Dänemark faktisch keine Grenzen.
Besonders nicht in meiner StraÃe, der Jaegersborggade in Kopenhagen. Es ist Hochsommer, ich schaue aus dem Fenster und sehe überall Leute, die Caffè Latte oder auch ein Bierchen trinken. Dabei ist es gerade mal halb vier. Aber in Dänemark macht man eben früher Feierabend als in Deutschland, schlieÃlich braucht man genug Zeit zum ausgiebigen »Hygge« mit Freunden und Familie. Niemand hetzt hier, niemand drängelt, in meinem Lieblingscafé bekritzeln Kleinkinder die Tische und niemand stört sich dran. Alle Läden sind wunderschön eingerichtet: der Ãkofriseur etwa (bei dem ich mich immer frage, was an einem Friseur öko sein kann), das Geschäft, in dem frische Kekse gebacken werden, der Secondhandladen mit den Kinderklamotten â selbst beim Pizzaimbiss ist es gemütlich. Am Ende der StraÃe beginnt ein groÃer Friedhof, der jetzt im Sommer zum Park umfunktioniert wird. Dort sitzen Leute auf Decken, essen »Tebirkes«, eine Art süÃes Mohnbrötchen, und die Kinder flitzen auf ihren Laufrädern zwischen den Gräbern herum. Die Dänen als entspanntes Volk zu bezeichnen ist ungefähr so gewagt, wie Helmut Kohl dick zu finden.
Seit 189 Tagen wohne ich in diesem Epizentrum der Gemütlichkeit. Dumm nur, dass es in meiner Wohnung ganz und gar nicht »hyggelig« ist. Und das liegt vor allem an dem, was vor mir auf dem Küchentisch liegt: ein Mount Everest an vollgeschnieften Taschentüchern. Nein, mir geht es nicht schlecht. Mir geht es verdammt beschissen.
Ich sitze am Küchentisch und versuche mir einzureden, dass jeder mal einen schlimmen Tag hat. Wenn der Zahnarzt einem aus Versehen die falschen Zähne aufbohrt. Wenn man sich vorm Chef ein volles Glas Orangensaft übers T-Shirt kippt und das Shirt daraufhin durchsichtig wird. Wenn man mit dem Fahrrad zu einem wichtigen Termin fährt, hinfliegt, sich die Hose zerfetzt und es anfängt zu regnen. Habe ich alles schon erlebt. War alles schlimm, aber am nächsten Tag vergessen.
Das Verstörende an dem Taschentuchberg ist jedoch, dass heute eigentlich gar kein schlimmer Tag ist: Die Sonne strahlt vom Himmel, als gäbe es einen Wettbewerb zu gewinnen. Ich wohne in einer schönen Stadt und einer noch schöneren StraÃe. Mein letzter Zahnarztbesuch dauerte fünf Minuten, ich habe ein T-Shirt ohne orangefarbene Flecken an und seit Ewigkeiten keinen Fahrradunfall mehr gehabt. Ich bin gesund, habe einen tollen Job und einen noch tolleren Freund.
Doch es gibt einen simplen Grund, warum dieser wunderschöne Sommertag für mich ein grauenvoller Misttag ist. Es hat etwas damit zu tun, dass ich nicht in einem der schönen Cafés sitze, keine frisch gebackenen Kekse kaufe, nicht auf dem Friedhof in der Sonne liege. Denn das alles macht mir alleine keinen SpaÃ.
Ja, ich bin allein. Eine Zeit lang hat mir das nichts ausgemacht. Ich habe mich alleine ins Café gesetzt und
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