Taran Bd 4 - Der Spiegel von Llunet
einem einzigen Mal – dich.«
»Eine Lüge?«, stammelte Taran. »Hast du mich damals angelogen, oder lügst du mich jetzt an?«
»Die halbe Wahrheit ist schlimmer als eine Lüge«, entgegnete Craddoc stockend. »Höre. Höre die Wahrheit. Ja, vor langer Zeit fand Dallben Unterkunft bei mir, als er durch Prydain zog. Aber wonach er suchte, das verriet er nicht.«
»Das Kind«, schrie Taran. »Gab es also gar kein Kind?«
»Doch«, erwiderte Craddoc, »einen Jungen. Unser Erstgeborener, wie ich dir erzählt habe. Er überlebte den Tag seiner Geburt nicht. Seine Mutter starb mit ihm«, flüsterte er. »Und du – ich brauchte deine jugendliche Kraft, um das zu erhalten, was mir geblieben war. Doch schon als ich die Lüge aussprach, schämte ich mich; aber ich schämte mich noch mehr, die Wahrheit zu sagen. Als dein Gefährte uns verließ, konnte ich nur hoffen, dass du ihm folgen würdest, und ich gab dir die Möglichkeit dazu. Du hast dich entschlossen zu bleiben. Aber auch dies ist wahr«, fuhr Craddoc schnell fort. »Anfangs lehnte ich mich auf dich wie auf meine Krücke, weil ich dich brauchte. Aber kein Vater würde einen Sohn inniger lieben können als ich dich.«
Tarans Kopf sank auf die Brust. Er war unfähig zu sprechen. Tränen trübten seinen Blick. Craddoc, der sich halb aufgerichtet hatte, sank zurück auf die Steine. »Geht, geht«, murmelte er.
Tarans Hände fielen herab. Seine Finger berührten das Metall des Schlachtenhorns. Mit einem Schrei richtete er sich auf. Eilonwys Horn! Er musste es völlig unbewusst umgehängt haben, als er aus der Hütte gestürzt war. Hastig zog er es unter dem Mantel hervor. Der Ruf des Feenvolks, den er so sorgsam bewahrt hatte! Er allein konnte Craddoc retten. Unsicher stand er auf. Der Fels schien unter ihm zu wanken. Doch die Weise, die Doli ihn gelehrt hatte, war aus seinem Gedächtnis gelöscht. Verzweifelt versuchte er sich zu erinnern, und plötzlich hörte er sie wieder. Er hob das Horn an die Lippen. Die Töne klangen laut und klar. Noch bevor das Signal verklungen war, erfasste es der Wind und trug es durch das Tal, sodass es als Echo wiederkehrte. Dann senkten sich wirbelnde Schatten auf ihn herab, und Taran stürzte zu Boden.
Wie lange sie dort gelegen hatten, das wusste er nicht, vielleicht Augenblicke, vielleicht Stunden. Undeutlich spürte er, wie starke Hände ihn aufhoben, wie ein Seil um seine Hüften geschlungen wurde. Umrisshaft sah er das Flackern einer Lampe und die breiten Gesichter der Unterirdischen. Als er die Augen endlich aufschlug, lag er in der Hütte, das Feuer brannte, und Gurgi stand neben ihm. Taran sprang auf. Ein scharfer Schmerz nahm ihm den Atem. Jetzt erst spürte er den festen Verband um seine Brust.
»Das Signal!«, flüsterte er matt. »Es wurde erhört …«
»Ja! Ja!«, kreischte Gurgi. »Zwerge retten mit Holen und Heben, sie verbinden lieben Herrn, und sie lassen ihm heilende Kräuter zurück!«
»Der Ruf«, begann Taran. »Guter alter Doli. Er legte mir ans Herz, ihn nicht zu verschwenden. Ich freue mich um Craddocs willen, dass ich den Ruf so lange bewahrt habe. Craddoc – wo ist er? Wie geht es ihm?« Er hielt plötzlich inne.
Gurgi sah ihn schweigend an. Das Gesicht des Tiermenschen war von Kummer verzerrt. Tränen standen in seinen Augen, als er den zottigen Kopf beugte. Taran sank zurück. Sein eigener Schmerzensschrei hallte ihm in den Ohren. Dann umgab ihn nur noch Finsternis.
Die Wanderschaft
as Fieber kam und hielt ihn gefangen, ein feuriger Wald, durch den er endlos hindurchtaumelte. Er wälzte sich auf dem Strohsack hin und her, weder Tag noch Nacht nahm er wahr. Oft sah er im Traum undeutlich Gesichter: von Eilonwy, von seinen Gefährten, von allen, die er geliebt hatte. Doch sie entglitten ihm wieder, unstet und flüchtig wie Wolken im Wind; oder sie wurden verdrängt von düsteren Nachtmahren, die ihn angsterfüllt aufschreien ließen. Später glaubte er Fflewddur zu erkennen, aber der Barde war mager und hohläugig geworden, sein gelbes Haar hing ihm verfilzt in die Stirn, sein Mund war verkniffen und seine lange Nase schmal wie eine Messerschneide. Die Kleider waren zerlumpt und schmutzig. Kaw saß ihm auf der Schulter und krächzte: »Taran, Taran!«
»Ja, nun ist es wirklich an der Zeit, dass du aufwachst«, sagte Fflewddur und lächelte ihm zu. Neben dem Barden hockte Gurgi auf einem Holzschemel und betrachtete ihn voll Sorge. Taran rieb die Augen. Er wusste nicht, ob er schlief oder wachte.
Weitere Kostenlose Bücher