Taran Bd 6 - Der Findling: Geschichten aus Tarans Welt
Wachen, die ihn festhalten wollten, kam durch den Thronsaal gehumpelt und fiel vor dem König auf die Knie.
»König, richtet mein Tor!«, rief er und hielt das leblose Lämmchen empor. »Ich habe Euch als würdigen König und aufrechten Mann geehrt, doch jetzt sind meine Schafe fort, und ohne seine Mutter ist mein Lamm gestorben.«
»Schäfer«, warnte ihn Rhitta, »ich habe dir befohlen, mich nicht mehr zu behelligen. Wie wagst du es, in meinen Rat zu kommen? Wichtige Geschäfte werden hier erwogen.«
»Herr«, entgegnete der Schäfer, »ist es nicht eine wichtige Sache, wenn das Versprechen eines Königs nicht gehalten wird?«
»Was, Schäfer«, platzte Rhitta heraus, »willst du mir sagen, dass ich mein Wort gebrochen habe?«
»Nein, Herr«, gab der Schäfer schlicht zurück, »Ich sage Euch nur, dass es bislang nicht gehalten wurde.«
Rhittas Gesicht lief rot an, als er so zurechtgewiesen wurde, und er stand zornig von seinem Thron auf und rief:
»Schäfer, hüte deine Zunge! Willst du etwa behaupten, dass dein König ein Eidbrecher sei?«
»Das sagt Ihr, Herr, nicht ich«, antwortete Amrys.
Diese Worte des Schäfers entflammten seinen Zorn so sehr, dass Rhitta sein großes Schwert zog und Amrys niederstreckte. Doch dann, als sein Zorn verflog und er sah, dass er den alten Mann erschlagen hatte, wurde Rhitta von Reue erfüllt; er warf seine Waffe beiseite und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Seine Ratgeber jedoch sammelten sich um ihn und sagten:
»Herr, das war eine bedauerliche Tat. Doch der Schäfer hat es sich selbst zuzuschreiben. Er hat Euch tödlich beleidigt, als er euch ins Gesicht einen Lügner nannte. Diese Beleidigung Eurer königlichen Würde hätte zu Verrat und offenem Aufruhr anwachsen können. Ihr konntet nicht anders handeln.«
Zuerst gab Rhitta sich selbst für das, was er getan hatte, die Schuld. Doch je länger seine Ratgeber redeten, desto mehr erleichterten ihre Worte sein Gewissen, und er sah die Sache in ihrem Licht. So schob er seine Schuldgefühle beiseite und stimmte ihnen zu:
»Ja, es ist wahr und mir nun klar. Ich habe nur meine Pflicht getan. Dennoch, um zu zeigen, dass ich keinen Groll hege, verfüge ich, dass man der Frau des Schäfers und seiner Familie je eine mit Gold gefüllte Börse geben soll und den prächtigsten Widder und das beste Schaf aus meiner eigenen Herde; und es soll ihnen nie mehr an irgendetwas mangeln.«
Der ganze Hof pries Rhittas Weisheit und Großzügigkeit. Doch in der Nacht, allein in seiner Schlafkammer, als er seine Waffen beiseite legte, sah er auf der hellen Scheide Dyrnwyns einen dunklen Fleck, schwarz wie getrocknetes Blut. So sehr er auch versuchte, die Stelle blank zu reiben, der dunkle Fleck blieb.
Am nächsten Tag kam sein oberster Ratgeber zu ihm und sagte:
»Herr, wir wollten Euer Gebot erfüllen, doch der Schäfer hatte weder Frau noch Familie. Er hat nicht einmal einen Erben, dem sein Land zufallen würde.«
Rhittas Heerführer, der dies hörte, trat vor und sprach zum König:
»Herr, es ist bei Euch stets Sitte gewesen, die zu belohnen, die Euch gut dienen. Früher, wenn Land ohne Erben blieb, habt ihr es an andere Edle vermacht. Werdet Ihr mir diesen Hof geben?«
Rhitta zögerte. Er erwog die Bitte des Heerführers wohl, aber dachte auch, wie gut das Land des Schäfers seinen eigenen Besitz vergrößern würde. Dann sagte er:
»Der Schäfer hat mich beleidigt. Es ist nur gerecht, wenn sein Land mir zufällt.«
»Gerecht?«, gab der Heerführer zurück. »Des Königs Gerechtigkeit dient wohl des Königs Zwecken.«
Rhitta wandte sich zornig gegen ihn und rief aus:
»Es soll sein, wie ich sagte. Wie wagst du es, meine Entscheidung infrage zu stellen? Willst du deinen König zurechtweisen? Lass dir das Schicksal des Schäfers als Warnung dienen!«
»Wollt Ihr das Leben eines Gefolgsmannes bedrohen?«, begehrte der Heerführer auf. »Denkt dran, Rhitta, ihr habt es hier mit einem Krieger zu tun, nicht mit einem schwachen Greis. Seid selbst gewarnt, Herr!«
Hierauf schlug Rhitta dem Heerführer ins Gesicht und schrie:
»Fort mit dir! Willst du mehr Land? Für deine Frechheit sind deine eigenen Ländereien verwirkt. Ich verbanne dich von Hof und Burg und aus meinem ganzen Reich.«
Angesichts von Rhittas Zorn wagten weder die Ratsherren noch sonst einer der Edlen dem König zu widersprechen. So wurde der Heerführer in Unehren fortgeschickt und sein Amt einem anderen gegeben.
In jener Nacht in seinem Schlafgemach
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