Taran Bd 6 - Der Findling: Geschichten aus Tarans Welt
»Mein Mantel ist abgetragen und schäbig. Kannst du mir einen neuen weben?«
»Ich weiß nicht, wo du herkommst«, gab Follin zurück, dem die Gewandung des Reisenden die Augen übergehen ließ, »doch gewiss ist es ein reiches Land, wenn du solch einen Mantel schäbig nennst.«
»Er ist gut genug für eine Reise, um gegen den Schmutz und Dreck der Straße zu schützen«, entgegnete der Fremde. »Doch in meinem Land ist er nicht besser als ein Lumpen; selbst ein Bettler würde ihn nicht annehmen.«
Follin war inzwischen von seiner Bank am Webstuhl hinabgestiegen. Er konnte seine Augen nicht von dem Mantel des Fremden abwenden, und als er sich traute, den Saum zwischen Daumen und Zeigefinger zu reiben, wurde sein Erstaunen noch größer. Das Tuch, wenn auch aus reinstem Gold, war leichter als Distelflaum und weicher als Lammwolle.
»Dergleichen kann ich nicht weben«, stammelte Follin. »Ich habe keinen Faden von solcher Feinheit, und das Muster geht selbst über meine Fähigkeiten hinaus.«
»Es wäre ganz einfach«, sagte der Reisende, »wenn du das Werkzeug dazu hättest.« Er griff in einen Lederbeutel an seinem Gürtel. »Hier, versuche dieses Schiffchen anstelle von deinem.«
Voller Zweifel nahm Follin das Schiffchen, das aussah, als wäre es nie gebraucht worden, während sein eigenes abgewetzt und poliert war und ihm griffig in der Hand lag. Doch auf Geheiß des Fremden warf Follin das Schiffchen zwischen den Fäden auf seinem Webstuhl hindurch.
Im selben Augenblick begann das Schiffchen hin und her zu flitzen, noch schneller als sein altes. Vor den Augen des Webers erschien schimmerndes Goldtuch und wuchs so schnell, dass der Webstuhl bald genug für einen Mantel fasste.
»Meinen Dank, Weber«, sagte der Fremde und deutete Follin, das neue Tuch vom Webstuhl zu nehmen. »Welchen Lohn wollt ihr verlangen?«
Follin war so verwirrt, dass er nur den Kopf schütteln und auf das Werk des wundersamen Schiffchens starren konnte. Und so fuhr der Fremde fort:
»Du hast mir einen Gefallen getan. Nun will ich dir einen tun. Behalte das Schiffchen. Benutze es, wie es dir am meisten nützt.«
»Was?«, rief Follin aus, der kaum seinen Ohren traute. »Du willst mir einen solchen Schatz geben?«
»Ein Schatz mag es für dich sein«, antwortete der Fremde, »nicht für mich. In meinem Land sind solche Werkzeuge alltäglich. Aber«, fuhr er fort, »damit jeder von uns etwas davon hat, gib mir das deine zum Tausch, und du sollst dieses haben.«
Nun war Follin nie ein gieriger Mann gewesen. Doch die Worte des Reisenden waren wie dünne Finger, die an Kette und Schussfaden seiner Gedanken zupften. Er hatte sein altes Schiffchen sein ganzes Leben lang benutzt und wusste, dass es von dem Wissen und dem Stolz seiner Handwerkskunst erfüllt war. Dennoch, sagte er sich, konnte keiner, der bei Verstand war, einen solchen Tausch ablehnen. Statt Tuch konnte er alles Gold weben, das er wollte. Und so sagte er:
»Einverstanden. So sei es.«
Er gab sein altes Schiffchen dem Reisenden, der es in seinen Lederbeutel steckte und ohne ein weiteres Wort die Werkstatt verließ.
Kaum war der Fremde aus der Tür, als Follin zitternd vor Erregung auf seine Bank sprang und, so schnell er konnte, zu weben begann. Er lachte vor Lust, und seine Augen glitzerten, als er den Schatz vor sich sah, der ihm gehören würde.
»Ich werde mir ein Vermögen weben!«, rief er aus. »Und wenn ich das ausgegeben habe, webe ich mir ein neues! Und dann wieder eins! Ich werde der reichste Mann im ganzen Land sein. Ich werde von goldenen Tellern essen. Ich werde aus goldenen Bechern trinken.«
Plötzlich stoppte das flinke Schiffchen, brach auseinander und fiel in Stücken zu Boden. Auf dem Webstuhl verwandelten sich die schimmernden Fäden im selben Augenblick zu Spinnweben und zerfielen vor Follins Augen zu Fetzen.
Außer sich über den Betrug, den Verlust seines Schiffchens bejammernd, lief Follin aus der Werkstatt. Doch der Reisende war fort.
Und von dieser Zeit an mühte sich Follin an seinem Webstuhl, doch er fand nie wieder ein Schiffchen, welches dem gleich gekommen wäre, das er eingetauscht hatte.
An einem anderen Tag saß Menwy der Barde unter einem Baum und stimmte seine Harfe, als ein hagerer Mann, gekleidet in Grau und auf einem fahlen Ross reitend, die Zügel anzog und ihm zurief:
»Meister Harfner, meiner Harfe fehlt eine Saite. Kannst du mir eine von deinen überlassen?«
Menwy sah, dass der Reiter an seinem Sattelknauf eine
Weitere Kostenlose Bücher