Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
Vergangenheit aufbewahrt. Erst vor drei Tagen, als uns der König der Alben nach Cayvallon rief, holte ich sie hervor und legte sie an, um sie zu Ehren Anreons zu tragen und in Jeorhels Hallen als strahlendes Symbol dafür zu erheben, dass nichts jemals vergessen sein wird.« Während die Leuchtkraft der Schneide wie von selbst wieder nachzulassen schien, drehte Wilfert die Waffe herum, legte die Klinge in seine Armbeuge und bot den Griff Tarean an. »Und vom heutigen Tag an sollst du der neue Besitzer von Esdurial sein. Hüte die Klinge gut, denn sie birgt eine große Macht, und in den falschen Händen kann sie viel Unheil anrichten.«
Mit großen Augen griff Tarean nach dem Schwert – und versuchte dabei nicht an die zwei Waffen zu denken, die er binnen eines Tages verloren hatte. Esdurial lag in seiner Hand, als sei die Klinge für ihn geschmiedet worden. Das Metall fühlte sich wie eine Verlängerung seines Armes an, und als er die Waffe probeweise durch die Luft schwang, zog sie schnell und präzise ihre Bahn. Kein plumper Metallknüppel, den man an den Seiten angeschliffen hatte, wie er ihn manchmal aus der Rüstkammer von Feor oder Ilrod in die Hand gedrückt bekam, sondern ein wahres Meisterstück der Schmiedekunst, eine Waffe, die geschaffen worden war, um das Schlachtfeld zu beherrschen. Schließlich klärte sich der Blick des Jungen wieder, und er kehrte aus Gefilden, in denen er sich bereits als Bezwinger ganzer Heerscharen von Wolfskriegern sah, ins Hier und Jetzt zurück. »Diese Waffe, Wilfert. Ich kann sie nicht annehmen. Sie ist viel zu wertvoll, um von mir auf eine, wie Ihr selbst sagt, Reise ohne Wiederkehr, mitgenommen zu werden.«
Der Ritter lächelte. »Du irrst, mein Junge. Es ist genau die Art von Waffe, die ein Mann am Gürtel tragen muss, wenn er auf eine Reise ohne Wiederkehr aufbricht. Und abgesehen davon, dass die Klinge selbst wohl kaum mit Gold aufzuwiegen ist, wird sie erst wirklich wertvoll durch die Hand, die sie führt. Zeige dich ihrer würdig und missbrauche ihre Kraft nicht leichtfertig, und du hast Esdurial mehr als verdient.«
Tarean schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Sag gar nichts, Tarean, höre mir nur gut zu, denn du wirst noch mehr Hilfe brauchen, und auch wenn ich dich nicht persönlich begleiten kann, so kenne ich doch jemanden, der dir ein guter Führer durchs Feindesland sein wird, wenn du ihn aufsuchst und in meinem Namen um Hilfe bittest. Sein Name ist Beornhard, und er lebt im Südviertel Agialons.«
»Dann ist mein erstes Ziel Agialon«, sagte der Junge.
»Gut.« Der Ritter nickte ihm zu. »Aber nun komm mit mir, Tarean. Denn wenn du wirklich gehen willst, dann musst du gleich gehen und darfst weder deinem Ahn, noch deiner Ahne, noch dem Waffenmeister oder einem deiner Freunde erlauben, deiner Entscheidung Steine in den Weg zu legen. Ein alter Kamerad aus Kriegszeiten lebt hier in Ortensruh. Er wird dich mit dem Notwendigen ausstatten, um diese Reise anzutreten.«
Für einen Moment zögerte Tarean noch. »Und was machen wir mit dem Grab? Wir können es doch nicht in diesem Zustand zurücklassen?«
»Ich werde mich darum kümmern, mein Junge«, versprach ihm Wilfert. »Sei versichert, dies ist mir nicht nur eine Pflicht als früherer Knappe eines Ritters des Kristalldrachenordens, es ist mir auch ein Bedürfnis als Freund des Herrn Anreon.«
Gemeinsam verließen sie den Friedhof und gingen zurück nach Ortensruh, das mit dem ersten Licht des Tages bereits wieder aus dem kurzen, unruhigen Schlummer erwachte, in den es nach dem Sieg über die Grawls gefallen war. Überall wurden die Zerstörung und die Schrecken der letzten Nacht von den tastenden Sonnenstrahlen eines klaren, kühlen Morgens dem gnädigen Mantel der Dunkelheit entrissen. Zertrampelte Gärten, umgerissene Zäune und zertrümmerte Eingangstüren zeugten von der unbändigen Wut, mit der die Wölfe über die Siedlung hergefallen waren. Das farbige Schild der Dorfschänke »Zum grünen Humpen« schaukelte, nur noch an einer Kette hängend, quietschend hin und her, und viele der Häuser, insbesondere in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes, wiesen statt eines Dachstuhls nur noch schwarze, schwelende, nach kaltem Ruß stinkende Holzgerippe auf.
An vielen Stellen lagen noch die haarigen Leiber der gefallenen Wolflinge, die beherzte Männer in den nächsten Stunden auf Karren laden, aus der Stadt bringen und auf dem Feld verbrennen würden. Man hatte sie nur
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