Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
schleifen.« Tarean wollte hitzig auffahren, doch der Ritter gebot ihm mit erhobener Hand zu schweigen. »Ich könnte auch versuchen, dich davon zu überzeugen, dass das, was du gesehen zu haben glaubst, nur ein Trugbild war, eine Erscheinung im wahrsten Sinne des Wortes, von einem überreizten Geist aus all dem Schrecken und dem Tod geboren, den du gestern erleben musstest.« Er verstummte für einen Moment, bevor er fortfuhr: »Aber ich werde dein Ansinnen weder als Schwärmerei noch als Fieberwahn abtun, denn ich sehe in deinem Gesicht die Ernsthaftigkeit deines Trachtens, und in deinen Augen brennt die Leidenschaft, derer es bedarf, um ein solch gewaltiges Unterfangen anzugehen. Daher sage ich dir nur das eine: Wenn du gehst, dann wird dies eine Reise ohne Wiederkehr. Du wirst niemals den weiten Weg bis nach At Arthanoc, der Feste, von der aus Calvas herrscht, überstehen, nicht als der einzelne Junge, der du bist, der von der Welt dort draußen und den Dingen, die in ihr geschehen, keine Ahnung hat.«
»Redet mir nicht ein, dass es unmöglich ist!«, rief Tarean. »Das Zeitalter heldenhafter Taten mag vorbei sein, denn Calvas hat allen strahlenden Helden erfolgreich getrotzt. Vielleicht ist es aber einem einfachen Mann bestimmt, den Hexer von seinem Thron zu stürzen.«
Wilfert blickte ihn kurz scharf an. Er hatte gemerkt, dass der Junge die Worte von Than Urias, die dieser dem Gesandten Albernias an den Kopf geworfen hatte, in ihr Gegenteil verwandelt hatte. Aber er ging nicht darauf ein, sondern sagte stattdessen: »Es lag nicht in meiner Absicht, dir einzureden, dass es unmöglich sei. Ich sagte nur, dass du es allein kaum wirst schaffen können. Du wirst Hilfe brauchen.«
Diese Wendung des Gesprächs traf Tarean so unvorbereitet, dass er zunächst gar keine Antwort darauf hatte. Dann stotterte er: »Ihr … Ihr wollt mit mir kommen?«
Der Ritter presste die Lippen zusammen und schwieg. Für einen Moment schien er einen inneren Kampf auszufechten, doch dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Tarean, ich hatte vor sechzehn Jahren meine Chance, den Hexenmeister zu besiegen – und ich habe versagt. Ich gehöre jetzt hierher, nach Bergen, nach Dornhall, sei es, um die wenigen, die von unserem Volk noch in Freiheit leben dürfen, zu beschützen, sei es, um den verstockten Than zu etwas Mäßigung in seinem Wesen zu bewegen oder um als Gefolgsmann des Hochkönigs von Albernia in dunkler Nacht nach Silberstreifen am Horizont zu suchen. Nein, Tarean, mit Hilfe meinte ich dies hier.« Er erhob sich mit einer beinahe absichtlich dramatisch wirkenden, kraftvollen Bewegung und zog mit seiner rechten, gesunden Hand sein Schwert aus der Scheide. Nein, es war nicht sein Schwert, wie Tarean jetzt erkannte. Der Ritter hatte zwei Klingen mit sich getragen, und seine alte Waffe mit dem runden, silbernen Knauf, in den ein winziger Drachenkopf geprägt war, steckte nach wie vor in ihrer Umhüllung.
Wilfert sprach ein Wort in einer Sprache, die Tarean nicht verstand, doch er spürte, dass es ein Wort war, das an der Alten Macht rührte, denn mit einem Mal fing die Klinge des gezogenen Schwertes an zu leuchten. Winzige weiße Flammen leckten das makellos glänzende Metall empor, das vom Heft bis zur Klingenspitze mit einer Reihe goldener Schriftzeichen verziert war, deren Herkunft dem Jungen völlig unbekannt war. Dann gab es einen dumpfen Schlag und eine Lichtexplosion, die alle Schatten um sie herum vertrieb, als sich die ganze Klinge zu einem gleißenden Strahlen entzündete, sodass man den Blick abwenden musste, wollte man nicht geblendet werden.
»Das hier«, sprach Wilfert mit lauter, Ehrfurcht gebietender Stimme, »ist Esdurial, die Klinge des weißen Drachenfeuers, vor tausend Jahren von Meisterschmieden im Dienste des Kristalldrachenordens geschaffen und seitdem von Ritter zu Ritter weitergereicht, um jeweils dem Tapfersten unter uns bei seinen schwersten Taten zur Seite zu stehen. Es gibt nur noch eine Handvoll Waffen auf der ganzen Welt, die ihr ebenbürtig sind. Eine davon trägt der Hochkönig Jeorhel von Albernia. Dein Vater, Anreon von Agialon, einer der größten Ordensritter seiner Zeit, führte diese Waffe in der Schlacht um den Drakenskal-Pass, und als er starb, nahm ich, sein Knappe, sie an mich und brachte sie in Sicherheit, denn ich hätte es nicht ertragen, sie durch die Klauen eines Wolflings entweiht zu sehen. All die Jahre habe ich sie auf Dornhall in einer Truhe gemeinsam mit den Relikten meiner
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