Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
reichen, um Agialon so nahe zu kommen, dass du deine Vorräte anderweitig auffrischen kannst.«
Schließlich gab er Tarean noch einen versiegelten Brief und ein kleines Säckchen Silbermünzen. »Das wirst du beides brauchen«, erklärte der Ritter. »Der Umgangston dort draußen ist rau, und ein bisschen Geld, um sich Gefälligkeiten zu erkaufen, kann nicht schaden. Aber protze nicht mit deinem Hab und Gut, sonst bist du es schneller los, als du dein Schwert ziehen kannst.«
Tarean verzog das Gesicht. »Wilfert, ich bin hinter dem Wald aufgewachsen, nicht hinter dem Mond«, sagte er in Anlehnung an ein beliebtes Sprichwort.
Der Ritter schmunzelte und deutete dann auf das Schreiben. »Diese Zeilen überreiche Beornhard. Sie erklären ihm deine Lage und werden dir seine Hilfe sichern, ohne zu viel zu verraten. Du könntest zwar auch Esdurial ziehen, um ihm zu beweisen, dass ich dich geschickt habe, aber wenn es geht, vermeide dies. Agialon ist eine Hochburg des Feindes, und das Schwert Anreons mag manchem aufmerksamen Auge noch bekannt vorkommen. Draußen in der Wildnis besteht keine Gefahr, aber hüte dich davor, dich in Agialon in Kämpfe verwickeln zu lassen.« Er stockte kurz. »Eigentlich solltest du dich überhaupt davor hüten, in Kämpfe verwickelt zu werden. Wenn du At Arthanoc jemals erreichen willst, kann nur Heimlichkeit dein Verbündeter sein. Auch mit Esdurials brennender Klinge in der Faust wirst du dich nicht durch mehr als zweihundert Meilen Feindesland kämpfen können.«
»Ich werde mich bemühen, den Wolflingen aus dem Weg zu gehen«, versprach Tarean.
Sein Mentor brummte zufrieden.
»Eine letzte Frage habe ich noch, Wilfert.«
»Sprich.«
Tarean klopfte auf die Klinge von Esdurial, die in der unscheinbaren Schwertscheide an seinem Gürtel baumelte. »Wie entfache ich das weiße Feuer, das Esdurial zum Strahlen bringt?«
Der Ritter lächelte. »Es ist wie mit allen Dingen, die von der Alten Macht durchdrungen sind. Es kommt nicht darauf an, das richtige Wort zu wissen, sondern daran zu glauben, dass wir das Recht haben und die Kraft in uns tragen, die Alte Macht anzurufen oder zu nutzen. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, da du Esdurials Magie entfesseln musst, wirst du wissen, was zu tun ist.«
Tarean verspürte bei den Worten ein seltsames Gefühl der Vertrautheit. Iegi hatte ganz ähnlich zu ihm gesprochen, als er ihm das Amulett geschenkt hatte, das der Junge seitdem unter seinem Hemd und Lederharnisch verborgen auf der Brust trug. Also nickte er nur – auch wenn er nach wie vor nicht die geringste Ahnung hatte, wie er, ein Ungelernter, der mit Mühe des Lesens mächtig war, aber niemals wie Bruder Ingold die Mysterien der Vergangenheit studiert hatte, den Umgang mit den übernatürlichen Kräften bewerkstelligen sollte, die in ihrer Welt an ausgewählten Orten und in ausgewählten Dingen wirksam waren.
Einen Augenblick lang standen sie sich schweigend gegenüber, und trotz der Gewissheit, dass der Weg, den er einzuschlagen gedachte, ihm geradezu vorherbestimmt war, verspürte Tarean ein seltsames Widerstreben, Dornhall und das Almental und insbesondere Wilfert, seinen Mentor und vielleicht einzigen wahren Freund, zu verlassen.
Der einstige Knappe seines Vaters bot ihm den Arm, und der Junge ergriff ihn zum Abschied. »Leb wohl, Wilfert.«
Sein Gegenüber nickte knapp, zog Tarean dann an sich und drückte ihn kurz und fest. »Leb wohl, Junge. Und pass auf dich auf.« Schließlich schob er ihn auf Armeslänge von sich und wies mit dem gesunden Arm zur Handelsstraße. »Und nun geh und schau nicht zurück. Mögen die Dreigötter dich beschützen.«
»Mögen die Dreigötter Euch beschützen«, erwiderte Tarean den Gruß, dann wandte er sich ab und ging los – ohne sich umzusehen. Und so bemerkte er auch nicht, wie Wilfert ihm mit sorgenvoller Miene nachblickte, und er sah auch die schlanke Gestalt nicht, die sich aus dem Schatten eines Findlings löste und neben den Ritter trat.
»Ich muss gestehen, ich bin überrascht, wie rasch die Dinge in Bewegung geraten«, sagte der Alb, der vor wenigen Tagen als Bote des Hochkönigs auf Dornhall eingetroffen war. »Das Schicksal unserer Welt ist wieder im Fluss, und die Gabe des Wassers des Sehens verliert an Kraft, denn die Zukunft ist zu ungewiss, um vorhersagbar zu sein.«
»Glaubt Ihr, er ist bereit für die Bürde, die er sich selbst auferlegt hat, Sinjhen?«, fragte der Ritter.
»Er ist der Sohn seines Vaters«, erwiderte der Alb.
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