Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
außerdem kein Riese.«
Das handtellergroße Geschöpf blickte bis zum staubigen Boden hinab, der tief unter seinen Füßen im Dunkeln lag, dann wieder in Tareans Gesicht und erneut bedeutungsvoll in den Abgrund jenseits seiner Handfläche. »Kein Riese, hm?«
»Na ja, ich …« Tarean brach verwirrt ab. Er wusste nicht so genau, warum, aber er kam sich wie ein Bauerntölpel vor, der von einer Prinzessin zum Tee eingeladen worden war und nun höfische Konversation betreiben sollte. »Ich bin ein Mensch, mein Name ist Tarean«, platzte er schließlich hervor. Und etwas leiser setzte er nach. »Und wer bist du?«
Die Elfe strahlte ihn an – und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn mit jedem Augenblick, den sie bei Bewusstsein war, schien ihre Lichtaura an Stärke zu gewinnen. Dann machte sie einen anmutigen Knicks und hauchte: »Moosbeere.«
»Moosbeere …« Der Junge ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Das ist ein sehr schöner Name für eine noch viel schönere kleine Dame.«
Die Elfe schlug die schlanke Hand vor den Mund und kicherte. »Oh, was bist du für ein Herzensbrecher, Tarean Keinriese. In deiner Heimat müssen dir die jungen Mädchen zu Füßen liegen.«
Tarean spürte, wie ihm heiße Röte ins Gesicht stieg. Jetzt hatte er mal höflich sein wollen … Er wollte abwinken, womit er die Elfe, die immer noch federleicht auf seiner Hand stand, beinahe hätte über Bord gehen lassen.
»He«, schimpfte sie. Doch bevor er auch nur erschrocken nach Luft schnappend eingreifen konnte, hatte sie ihre Flügel ausgebreitet und sich flink wie ein Vogel in die Luft erhoben. Ihre Aura strahlte jetzt so stark, dass er den kleinen Körper kaum noch erkennen konnte, und ihre durchscheinenden Flügel vibrierten und summten wie bei einer Honigbiene. Sie glitt nahe an sein Gesicht heran und boxte ihm mit der winzigen Faust auf die Nase. »Was bist du für ein nachtragender Grobian!«
»Ich … es tut mir leid«, beeilte sich der Junge zu sagen. »Das wollte ich nicht.«
»Sagte der Ast zum Wandersmann, nachdem er ihm auf den Kopf gefallen war.«
»Äh … was?«
»Ach, schon gut. Vergessen wir’s. Und jetzt komm.« Moosbeere schwirrte zweimal verwirrend dicht um seinen Kopf herum und huschte dann aus dem Raum hinaus.
Tarean sah nur noch bunte Flecken vor seinen Augen flimmern. »Warte auf mich«, rief er und stolperte durchs Dunkel der Elfe hinterher, die im Augenblick seine einzige Lichtquelle darstellte. Er durchquerte hastig das Studierzimmer des toten Druiden, während die Elfe bereits fröhlich summend und Kapriolen schlagend in Richtung Ausgang schwirrte.
Tarean stieß sich den Kopf an irgendeinem niedrigen Balken, fluchte und tastete sich dann vorsichtig in Richtung Tunnel vorwärts. »Moosbeere! Komm zurück! Ich sehe hier hinten gar nichts mehr.«
Er hatte nicht wirklich daran geglaubt, dass das kleine Geschöpf auf ihn hören würde, das im Übrigen bislang kein Wörtchen des Dankes für den Mann übrig zu haben schien, der es aus seinem gläsernen Gefängnis befreit hatte. Umso überraschter war er, als sich ihm die fliegende Lichtkugel tatsächlich wieder näherte.
»Moosbeere!«
»Komm schnell, Tarean!« Die Elfe wirkte aufgeregt.
»Was ist?«
»Ich muss dir etwas Tolles zeigen.«
»Etwas Tolles?« Rasch folgte der Junge der Elfe, die bereits wieder auf dem Weg zurück zum Eingang war. Als er schließlich aus dem Steinportal mit seinen baumartigen Säulen und dem an versteinerte Baumkronen gemahnenden Vordach hinaustrat, erkannte er plötzlich voller Schrecken, dass die Elfe und er dringend über ihre jeweilige Vorstellung von »toll« sprechen mussten.
Vor dem Haus des Druiden standen zwei der drei Trolle!
»Dreigötter!«, entfuhr es ihm.
»Menschling«, grollte der eine Troll zufrieden, und der andere zog eine finstere Grimasse.
»Ihr kennt euch?« Strahlend schwirrte die Elfe an seine Seite. Sie schien sich keiner Gefahr bewusst.
»Flüchtig«, versetzte Tarean. »Sie wollten mich töten.«
»Wirklich?« Moosbeeres Blick zuckte zu den steinernen Ungetümen hinüber, die sich gemächlich in Bewegung setzen. »Oh …«
Die Gedanken des Jungen überschlugen sich. Diesmal schien es kein Weglaufen zu geben, kein Entrinnen. Oder doch? Blitzschnell warf er einen Blick zurück ins Innere. »Komm schnell, Moosbeere. Der Kamin.«
Doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da vernahm er hinter sich auch schon ein dumpfes Rumpeln und Bersten und eine Stimme, die aus den lichtlosen
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