Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
in die Glutlande hinabzuspazieren.
»Iegi, du hast deinen Greifen schlecht erzogen«, beschwerte sich Tarean und blickte dem Vogelpferd mit verdrossener Miene nach.
Das Gesicht des Prinzen verzog sich zu einem schiefen Grinsen. »Ich fürchte eher, ich habe ihn zu gut erzogen. Er tut immer das, was er will – genau wie ich.«
Zu zwölft machte sich die Gemeinschaft auf den Weg. Fenrir, Bromm und Haffta bildeten mit ihren scharfen Sinnen die Vorhut, gefolgt von Tarean, seinem Zwilling, Moosbeere und Auril. Ro’ik, Iegi und seine dreiköpfige Vogelmenschengarde kamen hinterdrein.
Sie tauchten ein in eine infernalische Welt, die nach Tareans Ansicht mit Fug und Recht den Vorhof zu den sagenumwobenen Dunkelreichen darstellte. Der Weg der Gefährten führte sie durch Täler, an deren Grund sich einst breite Lavaströme entlanggewälzt hatten, die im Laufe der Jahre zu glattem, schwarzem Gestein erkaltet waren. Sie quälten sich über Geröllfelder voller scharfer, hart glitzernder Quarzbrocken und folgten vielarmigen Flüssen, in denen orange glühende Steinschmelze zähflüssig dahinströmte.
Immer wieder klafften Risse und Spalten im Erdreich auf, aus denen Rauch quoll und in deren Tiefe es grollte und rumorte, als befände sich ein gewaltiger, uralter Felstitan unter ihren Füßen in einem unruhigen Schlummer. Aus schmatzenden, graubraunen Schlammlöchern drang ein Geruch wie von Fäulnis. Und in nur wenigen Meilen Entfernung drohten die hoch aufragenden Massen der flammenden Berge, die diesem Land sein Gesicht verliehen und seinen Namen gegeben hatten. Am Anfang war nichts als Feuer … So begann das Buch Indra, die erste der drei heiligen Schriften der Dreigötter. Ungefähr so wie die Glutlande stellte sich Tarean diesen Anfang vor.
Drei Tage lang wanderten sie durch diese lebensfeindliche Welt. Immer häufiger holte Tarean nun den Wegfinder der Steinernen hervor, der mit jeder Meile heller glühte und sie, wie es schien, auf einen düsteren Berg zuführte, der fast noch bedrohlicher als seine Brüder wirkte, denn im Gegensatz zu diesen schrie er seinen Zorn nicht mit Feuer und Rauch in den Himmel, sondern hockte einfach nur brütend und von schwarzen Dunstschwaden umgeben im düsteren Widerschein des allgegenwärtigen Feuers da. Natürlich war es Unsinn, aber wann immer Tarean auf den finsteren Berg schaute, überkam ihn das schleichende, grauenvolle Gefühl, dass der Berg zu ihnen herüberblickte, sie beobachtete und erwartete.
Und doch gab es nun kein Zurück mehr. Zu weit waren sie auf ihrem Weg bereits vorangeschritten. Dabei war dieser Weg mitnichten ein gerader. Immer wieder wurden sie durch unvorhergesehene Hindernisse gezwungen, von ihrem Pfad abzuweichen. Brodelnde Schlammseen, kochende, in der Tiefe vielfarbig schillernde Mineralquellen und weite Kessel, in denen gelb glühende und von kleinen schwarzen Schlackekronen gezierte Lava schwappte wie Eintopf über einem unheiligen Herdfeuer, machten immer wieder mühselige Umwege nötig.
Einmal erreichten sie eine etwa hundert Schritt breite Klamm, die sich schier meilenweit von Norden nach Süden zog, und wären nicht Ro’ik und die Vogelmenschen bei ihnen gewesen, die sie in einem wagemutigen Unterfangen auf die andere Seite trugen, hätten sie möglicherweise mehrere Tage dabei verloren, nach einer Möglichkeit zum Übersetzen zu suchen. Als Tarean auf dem Rücken des Vogelpferdes über den Abgrund ritt und auf das ferne, scheinbar harmlos glimmende Rinnsal zu seinen Füßen blickte, das in Wahrheit ein grollender Strom kochenden Gesteins war, der in schwindelerregender Tiefe dahinströmte, erfüllte ihn einen Moment lang Übelkeit. Sein Herz pochte wie wild in seiner Brust, und die Hitze, die sie schon seit Tagen plagte, wurde ihm auf einmal fast unerträglich. Wie soll ich ein Wesen überwinden, das über all das hier gebietet? Das Calvas’ Lehrmeister war und ihm den Grimmwolf und den Glutlanddrachen schickte? Das kann ich nicht schaffen. Du verlangst das Unmögliche von mir, Kesrondaia …
Der Junge hörte, wie Ro’ik ein aufgebrachtes Krächzen ausstieß, und er merkte, dass seine Hand sich im Nackengefieder des Greifen verkrallt hatte. »Tut mir leid«, murmelte er, zwang sich loszulassen und wischte sich stattdessen mit dem Ärmel seines Hemdes über das von Schweiß und feiner grauer Asche bedeckte Gesicht. Bald sehen wir alle aus wie Alben, dachte Tarean zynisch, oder wie Steinerne. Graue Gestalten in einer leblosen Welt.
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