Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
des Feenfeuers getreten waren, hatte er zufrieden genickt. Dabei hatte das wissende Glitzern in seinen Augen Auril die Verlegenheitsröte ins Gesicht steigen lassen, und sie hatte sich gefragt, wie wirksam die Magie des Tarnumhangs wirklich war. Doch der Nondurier hatte kein weiteres Wort verloren, sondern sich einfach ebenfalls zur Ruhe begeben. Wachen mussten sie in dieser Nacht nicht einteilen. Die fünf Greifen würden sie warnen, falls Gefahr drohte. Und so hatten auch Tarean und Auril neben Ro’ik ihre Wolldecken ausgebreitet und waren dann Arm in Arm eingeschlafen.
Doch nun hatte ein Albtraum die Albin geweckt. Der eine Albtraum, der sie immer wieder heimgesucht hatte, seit jener fatalen Nacht auf dem Riva. Alles war bislang eingetreten, was sie gesehen hatte: das Schiff auf einem Meer aus Stein, der sterbende Vogelmensch, die von Katzen belagerten Türme von Gongathar, ja, sogar Fenrir, der mit seinem Bogen auf sie zielte, nachdem sie sich zwischen ihn und den Tarean gestellt hatte, der so unerwartet in ihrer aller Leben getreten war. Den Tarean, neben dem ich gerade liege. Den Tarean, den ich liebe … Es war sicher kein Zufall, dass sie erneut von diesen furchtbaren Visionen träumte. Sie wusste sehr gut, dass der Moment immer näher rückte, an dem das Grauenvolle eintreffen würde, wovor sie sich seit der ersten Nacht gefürchtet hatte. Oh, Bromm, wie kann ich nur dein Leben retten?
Sie erinnerte sich an den ersten Teil des Gesprächs, das sie vor drei Nächten mit Tareans Zwilling geführt hatte. Er hatte sie gedrängt, sich zu öffnen, mit ihm zu reden, nicht zu versuchen, die Last alleine zu tragen, die ihr das Wasser des Sehens aufgebürdet hatte. Doch mit ihm wollte Auril nicht reden, nicht mehr. Glücklicherweise gab es einen anderen Tarean, dem sie sich anvertrauen konnte.
Die Albin richtete sich halb auf und berührte den Jungen an der Schulter. »Tarean«, flüsterte sie.
Verschlafen begann er sich zu regen. »Hm?«
»Ich muss mit dir reden. Es ist sehr wichtig.«
Der Junge drehte sich zu ihr um und schlug die Augen auf. »Was gibt es denn?«, fragte er müde.
»Du hast mir mal gesagt, ich solle meine Vision, meine Albträume, mit euch teilen, denn allein würde ich womöglich darin versagen, das drohende Schicksal abzuwenden, so wie du allein darin versagt hättest, Calvas zu besiegen.«
Tarean blinzelte verwirrt. »Das habe ich zu dir gesagt?«
Auril verzog das Gesicht. »Es war dein Zwilling, entschuldige. Ich war in jener Nacht unschlüssig, aber jetzt glaube ich, dass er recht hatte.« Sie hielt kurz inne. »Nein, das stimmt nicht ganz. Genau genommen bin ich verzweifelt, Tarean. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Alles, was ich gesehen habe, ist Wirklichkeit geworden. Nichts, was ich getan habe, hat irgendetwas verhindern können. Und als Nächstes …« Sie brach ab und biss sich auf die Lippe, als sie spürte, wie das schon bekannte Gefühl der Hilflosigkeit sie zu übermannen drohte.
Der Junge blickte die Albin mitfühlend an. Seine Müdigkeit war von einem Moment zum anderen verflogen. »Komm her, Auril«, sagte er leise, und als sie sich an ihn drängte, nahm er sie in die Arme. Schutz suchend schmiegte sie sich an ihn.
»Ich fürchte, dass Bromm sterben wird«, flüsterte Auril und sprach damit zum ersten Mal aus, was sie sich nie getraut hatte, in Worte zu fassen. »Ich sah, dass er Haffta vor irgendeiner Gefahr zu retten versucht, und plötzlich taucht ein Drache auf, und alles ist voll Feuer.«
»Bromm?« Betroffen schwieg der Junge für einige Herzschläge. Dann hob er das Gesicht der Albin, und auf seine Miene trat Entschlossenheit. »Das werden wir nicht zulassen, hörst du? Wir werden es verhindern, und wenn Bromm den ganzen Weg in die Dunkelreiche im Schutz des Tarnumhangs zurücklegt.« Sein Blick umwölkte sich, als er nachdenklich in die Nacht hinausschaute. »Aber am sichersten wäre es wohl, wenn wir den beiden verbieten würden, weiter mit uns zu kommen.«
Auril schüttelte den Kopf. »Solch ein Verbot würde nicht helfen. Bromm würde sicher versuchen, mir nachzukommen. Er wird mich niemals allein in die Glutlande vordringen lassen, und koste es sein Leben.«
»Diesen Preis, Auril, werden wir nicht zahlen. Das verspreche ich dir.«
Am Nachmittag des darauf folgenden Tages fanden beide Gruppen wieder zusammen. Fenrir verteilte die Feenfeuer und die langen, grauen Brull-Ledermäntel. Auf seinem Rücken hing der zweite Köcher mit settischen
Weitere Kostenlose Bücher