Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
der sich vor ihm im Nebel abzeichnete, welcher bislang seine Zukunft verschleiert hatte. »Wir müssen ein weiteres Mal nach At Arthanoc.«
Moosbeere machte ein angewidertes Geräusch. »Müssen wir diesem Ruf folgen?«, jammerte sie. »Die Burg ist ein scheußlicher Ort. Ich will nicht dorthin zurück. Und ich will auch diese Stimme in meinem Kopf nie wieder hören. Können wir nicht woandershin reisen?«
»Nein, Moosbeere, das können wir nicht, und das weißt du so gut wie ich«, erwiderte Tarean sanft, aber bestimmt. »Es war sicher kein Zufall, dass Kesrondaia zu dir und durch dich zu mir sprach. Wir müssen dieser Bitte um Hilfe nachgehen und ergründen, was es damit auf sich hat. Dessen bin ich mir ganz sicher.«
Das Irrlicht seufzte aus tiefstem Herzen. »Du bist ein komischer Kerl, Tarean. Manchmal schleichst du Wochen und Monde um ein Problem herum, ohne dich ihm zu stellen, dann wieder bist du dir binnen Augenblicken ganz sicher , was du tun musst. Sind alle Menschen so unstet?«
Der Junge konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Seltsam. Das Gleiche habe ich mich immer über Irrlichter gefragt«, neckte er seine Gefährtin liebevoll und erntete dafür einen entrüsteten Blick.
»Also, wie wirst du es den Flattermännern erklären?«, wollte Moosbeere wissen, nachdem sie eingesehen hatte, dass der Junge mit oder ohne ihre Einwilligung losziehen würde. »Es wird doch sicher für einigen Wirbel sorgen, wenn wir winkend zum Schlosstor hinausmarschieren.«
Tarean dachte einen Moment lang nach. »Gar nicht«, entschied er dann. »Was immer ich König Ieverin sagen könnte, er würde es nicht verstehen.« Er sah den Herrscher der Vogelmenschen regelrecht vor sich, in eine edle Robe gekleidet und auf dem Thron im großen Audienzsaal der Himmelszitadelle sitzend, mit der riesigen Statue eines die Flügel spreizenden Kronadlers im Rücken. Der König würde weise und ernst dreinschauen und zweifellos gewichtige Gründe dafür vorbringen, weshalb eine Reise nach At Arthanoc auch nach dem Sieg über Calvas, seinen Dämon und ihre wölfischen Horden ein im besten Fall leichtfertiges Unterfangen war. Und vermutlich hatte er damit sogar recht.
»Oder schlimmer noch«, fuhr der Junge fort, »er würde es verstehen und uns eine Eskorte seiner besten Krieger mitgeben, um die Burg noch einmal Stein für Stein auf den Kopf zu stellen. Dabei wissen wir beide, Moosbeere, dass dieser Ruf nicht Ieverin oder seinen Vogelmenschen galt. Er galt allein uns. Aber könnte ich das dem König ins Gesicht sagen?«
Das Irrlicht sah ihn erwartungsvoll an, und als er die scheinbar so offensichtliche Frage nicht gleich selbst beantwortete, soufflierte sie mit zaghaftem Stimmchen: »Nein?«
Tarean lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein. Ganz recht. Daher bleibt uns nur eines. Wir brechen noch heute vor dem Morgengrauen auf. In der Stunde vor Sonnenaufgang, wenn in Airianis alles schläft, schleichen wir uns zu den Stallungen, ich hole Ro’ik, und schon sind wir unterwegs.«
Moosbeere schnalzte mit der Zunge: »Das wird Iegi nicht gefallen!«
»Vermutlich nicht«, gab der Junge zu. »Aber ich werde ihm einen Brief hinterlassen, in dem ich meine Entscheidung erkläre. Ebenso seinem Vater. Es soll niemand sagen, wir wüssten die Gastfreundschaft der Vogelmenschen nicht zu schätzen. Und es soll auch kein böses Blut geben, wenn wir zurückkehren. Denn«, und damit erlaubte er sich nun doch ein leichtes Zweifeln, »es mag wohl sein, dass dies eher früher als später der Fall ist. Wenn wir beide uns doch geirrt haben. Falls diese Kesrondaia nichts weiter ist als ein Spuk der Alten Macht, die uns aus welchem Grund auch immer täuschen will.«
Moosbeere huschte ganz nah an ihn heran, und in ihren Augen lag ein ungewöhnlicher Ernst. »Es ist kein Spuk«, flüsterte sie voller Gewissheit. »Es ist kein Spuk.«
Mit dem ersten Licht des neuen Tages war Tarean zur Abreise bereit. Er trug feste Reisekleidung, seine bequemen Stiefel und einen neuen leichten und kunstvoll verarbeiteten Lederharnisch, den ihm die Vogelmenschen bereits kurz nach seiner Ankunft in Airianis vor sechs Monden geschenkt hatten und der erheblich besser passte als die alte Rüstung des Kriegsveteranen aus Ortensruh, mit der er ursprünglich ausgezogen war, um Calvas herauszufordern. Darüber hatte er seinen grauen Kapuzenmantel geworfen, und an zwei Gurten auf seinem Rücken hingen sowohl Esdurial als auch Wilferts alte Klinge, die er nach der Schlacht um At
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