Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
könntest mir in dieser Stunde beistehen. Das wird alles zu groß für mich. Wer bin ich denn? Ein Junge aus dem Almental – kein Held aus alten Zeiten, kein Ritter des Kristalldrachenordens, nicht mal ein echter Krieger. Und schon beim letzten Mal, als mir nur ein Glutlanddrache, ein Dämon und Calvas gegenüberstanden, wäre ich kläglich gescheitert und ums Leben gekommen, wenn ich nicht das Glück des Narren und meine Freunde gehabt hätte. Jetzt aber erwarten mich ein Land voller schwarzer Scheusale, ein Reich voller unheiliger Kreaturen und der Herr und Gebieter des Hexers. Wie soll ich dem nur gewachsen sein?«
Tarean schloss die Augen, und ein Schauer durchlief seinen Körper. Erst ganz langsam wurde ihm bewusst, welche Bürde er als Streiter Kesrondaias auf sich genommen hatte. Das Schicksal der Kristalldrachen liegt in meiner Hand. Was, wenn ich versage? »Ich habe Angst, Wilfert.«
Da erklang unvermittelt eine Stimme in seinem Kopf: Fürchte dich nicht. Du trägst Kesrondaias Herz. Es wird dich beschützen und dir Kraft spenden, wenn du es am nötigsten hast.
Die Überraschung ließ ihn zusammenzucken. »Wilfert?« Er öffnete die Augen, voller Unglauben und zugleich von der irrwitzigen Hoffnung erfüllt, der Geist des Ritters könne ihn erhört haben.
»Nein«, wurde diese Hoffnung mit mahlender Stimme enttäuscht. »Ich.«
Tarean wandte sich um und erblickte Câch’drokk. Der graue Hüne mit der goldenen Robe füllte den gesamten Türrahmen aus, während er ihn aus milde glühenden Augen anschaute. »Komm«, sagte der Unterirdische. »Der Kreis hat seinen Entschluss gefasst.«
Der Junge schluckte und nickte dann. »Das ist gut«, sagte er, während er sich erhob, und er versuchte dabei, möglichst gefasst zu klingen. »Denn jede Stunde ist kostbar, und mir scheint, dass ich schon zu lange hier unten verweile.«
Genau genommen war bislang wahrscheinlich weniger als ein Tag vergangen. Nach seinem Bericht vor dem Kreis hatte Kiesel Tarean zu einer Mahlzeit verholfen, die auch für einen Menschen genießbar war. Und anschließend hatte sich der Junge in eine Nische am Rand der Stadt zurückgezogen, um ein paar Stunden Schlaf zu finden. Er vermochte nicht zu sagen, wie lange er geruht hatte, aber nach einer zweiten Mahlzeit und dem Besuch von Wilferts Grab drängte es ihn, an die Oberfläche zurückzukehren, wo Iegi mit Ro’ik wartete.
»Eile tut not, das ist wahr«, erwiderte Câch’drokk, »aber vorbereitet zu sein, ist noch wichtiger. Du wirst dich an Orte begeben, Tarean, die nicht für Menschen geschaffen sind. Vergiss das nie.«
Wünsch mir Glück, Wilfert, dachte Tarean, als er die Grabkammer verließ.
Gemeinsam schritten sie durch die Straßen von Tiefgestein, vorbei an den scheinbar stummen Bewohnern, die gemächlich ihrem Tagewerk nachgingen. In der Ferne erspähte Tarean Moosbeere, die über einem schillernden Wasserbecken in der Luft hing und entweder ihr Spiegelbild oder aber etwas auf dem Grund des Beckens betrachtete. Mit einem Winken rief er das Irrlicht zu sich, das sich mit strahlender Miene zu ihnen gesellte.
»Ah, du bist endlich wach, Tarean Schlafmütze. Ich dachte schon, du wolltest die tausend Stunden, die uns Kesrondaia gesetzt hat, im Reich der Träume verbringen.«
»He«, verteidigte sich der Junge. »Es waren höchstens sechs Stunden! Oder?« Um Beistand heischend blickte er den Unterirdischen an.
»Ich weiß nicht, wie viel Zeit eine eurer Stunden ist«, sagte dieser, ohne eine Miene zu verziehen. »Du hast länger geschlafen, als es ein Alb an deiner Stelle getan hätte, und kürzer als ein Sette.«
Moosbeere kicherte.
Sie erklommen die Stufen zum Versammlungsort des Kreises, wo die übrigen Würdenträger der Steinmenschen sie bereits erwarteten. Einer von ihnen hielt einen schlanken Metallstab von etwa eineinhalb Schritt Länge in den breiten Händen, ein anderer eine Kristallkugel von der Größe Moosbeeres, in der eine dumpf glühende Flüssigkeit eingeschlossen zu sein schien, die Tarean auf unangenehme Weise an geschmolzene Lava erinnerte.
Câch’drokk ging auf die beiden Steinernen zu, nahm die Gegenstände an sich und drehte sich dann wieder zu Tarean um, der erwartungsvoll am Rand des Rundes stehen geblieben war. »Zwei Dinge wirst du auf deiner Reise in die Glutlande und danach in die Dunkelreiche brauchen, Tarean«, begann der Steinerne übergangslos. »Schutz und etwas, das dir den Weg weist. Zum Schutz überreichen wir dir einen der letzten
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