Tarzan 01 - Tarzan bei den Affen
die menschliche Natur ist noch seltsamer, deshalb stellte sie ihre Frage:
»Wo ist der Waldmensch, der Ihnen zu Hilfe kam? Warum ist er nicht zurückgekehrt?«
»Ich verstehe nicht«, sagte Clayton. »Wen meinen Sie?«
»Den, der jeden von uns rettete – mich zum Beispiel vor dem Gorilla.«
»Ach, er war es, der Sie gerettet hat?« fragte Clayton erstaunt. »Sie haben mir noch nichts von Ihrem Abenteuer erzählt, wissen Sie.«
Sie ließ nicht locker: »Haben Sie den Waldmenschen nicht gesehen? Als wir ganz weit weg und ganz schwach das Schießen im Dschungel hörten, verließ er mich. Wir hatten gerade die Lichtung erreicht, und er eilte in die Richtung, aus der der Gefechtslärm kam. Ich weiß, er wollte Ihnen beistehen.«
Sie sagte es fast flehentlich, und ihre ganze Haltung verriet ein mühsam unterdrücktes Gefühl. Clayton konnte es einfach nicht übersehen, und er fragte sich verständnislos, warum sie so bewegt war – so begierig, etwas über den Verbleib dieses seltsamen Geschöpfes zu erfahren.
Nun befiel ihn doch eine dunkle Vorahnung künftiger Enttäuschung, und in seiner Brust wurde, ohne daß er sich dessen bewußt wurde, der erste Keim von Eifersucht und Mißtrauen gegenüber dem Affenmenschen gelegt, dem er sein Leben verdankte.
»Wir haben ihn nicht gesehen«, erwiderte er ruhig. »Er ist nicht zu uns gestoßen.« Und nach einer kurzen, nachdenklichen Pause: »Vielleicht hat er sich seinem Stamm angeschlossen – den Männern, die uns angegriffen haben.« Er wußte nicht, warum er das sagte, denn er glaubte es selbst nicht.
Jane blickte ihn einen Moment mit großen Augen an.
»Nein!« rief sie heftig, viel zu heftig, nach seiner Ansicht. »Das kann nicht sein. Sie waren Wilde.«
Clayton schaute sie verblüfft an.
»Er ist ein seltsames, halbwildes Geschöpf des Dschungels, Miß Porter. Wie wissen nichts über ihn. Er spricht keine europäische Sprache und versteht auch keine – und sein Schmuck und die Waffen deuten auf Eingeborene der Westküste.«
Clayton redete schnell.
»Im Umkreis von einhundert Meilen gibt es keine anderen menschlichen Wesen außer jenen Eingeborenen, Miß Porter. Er muß zu den Stämmen gehören, die uns angegriffen haben, oder zu einem anderen gleich wilden – vielleicht ist er gar ein Kannibale!«
Sie wurde kreideweiß.
»Das kann ich nicht glauben«, flüsterte sie vor sich hin und sagte dann: »Das stimmt nicht, Sie werden sehen, daß er zurückkommt und daß er Ihnen beweisen wird, wie unrecht Sie haben. Sie kennen ihn nicht so, wie ich ihn kenne. Ich sage Ihnen, er ist ein Gentleman.«
Clayton war ein großmütiger und ritterlicher Mann, doch die leidenschaftlich Art und Weise, in der die Frau dem Waldmenschen verteidigte, stachelte ihn zu unvernünftiger Eifersucht an, so daß er für einen Augenblick alles vergaß, was er diesem wilden Halbgott verdankte, und beinahe höhnisch grinsend antwortete:
»Vielleicht haben Sie recht, Miß Porter, aber ich glaube nicht, daß sich jemand von uns über unseren Aas verzehrenden Bekannten den Kopf zerbrechen sollte. Vielmehr deutet alles darauf hin, daß er irgendein halbwahnsinnig gewordener Schiffbrüchiger ist, der uns schnell vergessen wird, aber keineswegs so schnell wie wir ihn. Er ist einfach ein Tier des Dschungels, Miß Porter.«
Sie gab keine Antwort, aber sie spürte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte.
Sie wußte, daß Clayton nur sagte, was er dachte, und zum ersten Mal begann sie, sich Gedanken zu machen, was ihrer neuentdeckten Liebe eigentlich zugrundelag, und deren Gegenstand einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Langsam wandte sie sich um und ging zum Haus zurück. Sie versuchte, sich diesen Waldgott neben sich im Salon eines Ozeanriesen vorzustellen. Sie sah ihn mit den Händen essen, seine Speisen zerfetzen nach Art von Raubtieren und die fettigen Finger an den Schenkeln abwischen. Sie schauderte.
Sie sah sich ihn ihren Freunden vorstellen – ungehobelt, ungebildet – ein Flegel, und sie fuhr zusammen.
Im Haus setzte sie sich auf die Kante ihrer Lagerstatt aus Farnen und Gras, legte eine Hand auf ihre wogende Brust und spürte das Medaillon dieses Mannes.
Sie holte es hervor, hielt es einen Moment in der Hand und blickte mit tränenvollen Augen darauf. Dann drückte sie es an die Lippen, vergrub ihr Gesicht im weichen Farnkraut und schluchzte.
»Ein Tier?« murmelte sie. »Dann soll Gott mich zu einem solchen machen, denn ob Tier oder – ich gehöre dir.«
Sie sah Clayton an
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