Tarzan 04 - Tarzans Sohn
bestand aus einem Rattenfell, ausgestopft mit Gras. Arme und Beine waren Holzstücke, die an einem Ende ein Loch hatten und an den Rattenfellrumpf genäht worden waren. Die Puppe war ziemlich häßlich, unansehnlich und schmutzig, in Meriems Augen jedoch das schönste und bewundernswerteste Spielzeug auf der ganzen Welt. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß sie der einzige Gegenstand in dieser Welt war, dem das kleine Mädchen sein Vertrauen und seine Liebe schenken konnte.
Jeder andere, mit dem Meriem in Berührung kam, verhielt sich fast ausnahmslos gleichgültig oder grausam zu ihr. Da war zum Beispiel die alte, schwarze Hexe, die für sie sorgte, Mabunu, ein zahnloses, schmutziges und launisches Weibsstück. Sie ließ sich keine Gelegenheit entgehen, das kleine Mädchen zurechtzuweisen oder sie sogar kleineren Folterungen zu unterziehen, sie zum Beispiel zu kneifen oder, wie schon zweimal, ihr glühende Kohlestücken auf die zarte Haut zu drücken. Dann war da noch der Scheich, ihr Vater. Sie fürchtete ihn mehr als Mabunu. Oft schalt er sie für nichts, wobei er seine Tiraden gewohnheitsmäßig damit beendete, daß er sie grausam schlug, bis ihr kleiner Körper ganz grün und blau war.
Aber wenn sie allein war, war sie glücklich, spielte mit Geeka, schmückte ihr Haar mit wilden Blumen oder flocht Schnüre aus Gras. Sie beschäftigte sich ständig und sang fortwährend – wenn man sie allein ließ. Auch noch so viele Grausamkeiten schienen den ihr eigenen Frohsinn und die Lebensfreude nicht aus ihrem Herzen vertreiben zu können. Sie verhielt sich nur still und zurückhaltend, wenn der Scheich in der Nähe war. Ihn fürchtete sie in einem Maße, das zuweilen fast hysterische Formen annahm. Und sie fürchtete auch den düsteren Dschungel, den grausamen Dschungel, der das kleine Dorf am Tag mit dem Geschnatter der Meerkatzen und dem Gekreisch der Vögel und in der Nacht mit dem Gebrüll, dem Knurren und Fauchen der großen Raubtiere umgab. Ja, sie fürchtete den Dschungel, aber noch mehr den Scheich, so daß sie sich schon oft mit dem Gedanken getragen hatte, wegzulaufen, für immer in dem schrecklichen Dschungel zu verschwinden, statt sich länger dem allgegenwärtigen Terror ihres Vaters ausgesetzt zu sehen.
Als sie nun an diesem Tag vor dem Ziegenhautzelt des Scheichs saß und einen Grasrock für Geeka herstellte, tauchte dieser ganz unerwartet auf. Im Nu schwand der glückselige Ausdruck aus dem Gesicht des Kindes. Sie wich zur Seite in dem Versuch, dem alten Araber mit dem ledernen Gesicht zu entgehen, aber sie war nicht schnell genug. Brutal versetzte er ihr einen Fußtritt, daß sie mit dem Gesicht nach unten stürzte und still liegenblieb, nicht weinend, aber zitternd. Mit einem Fluch ging der Mann an ihr vorbei in sein Zelt. Die alte, schwarze Hexe lachte beifällig und stellte einen einsamen, gelben Zahn zur Schau.
Als die Kleine sicher sein konnte, daß der Scheich gegangen war, kroch sie in den Schatten des Zeltes, lag ganz still, preßte Geeka an ihre Brust und weinte bitterlich, so daß ihre kleine Gestalt krampfartig zuckte. Sie wagte nicht, laut zu weinen, weil das den Scheich wieder gegen sie aufgebracht hätte. Die Qual ihres Herzens rührte nicht allein von dem physischen Schmerz her, es war die unendlich schmerzhaftere Seelenpein fehlender Zuwendung, denn das Herz des Kindes sehnte sich nach Liebe.
Die kleine Meriem konnte sich an kein anderes Dasein als dieses von der düsteren Grausamkeit des Scheichs und Mabunus geprägte erinnern. Ganz dunkel nur entsann sich ihr kindliches Gemüt an eine liebevolle Mutter, indes war sie nicht sicher, ob dies nicht vielleicht nur eine Traumvorstellung war, heraufbeschworen durch ihr Verlangen nach Zärtlichkeiten, die sie nie empfangen hatte, jedoch ihrer heißgeliebten Geeka zukommen ließ. Deren kleine Mutter war weit entfernt, ihr Verhalten nach dem ihre Vaters und ihrer Pflegemutter auszurichten, vielmehr neigte sie zum anderen Extrem. Geeka wurde täglich tausendmal geküßt. Manchmal benahm sich die Puppe im Spiel ungehörig, doch die kleine Mutter strafte nie. Vielmehr liebkoste und hätschelte sie sie. Ihr Verhalten wurde einzig und allein von ihrem leidenschaftlichen Verlangen nach Zuneigung beeinflußt.
Als sie Geeka jetzt an sich drückte, nahm ihr Schluchzen allmählich ab, bis sie wieder Herrin ihrer Stimme war und ihr ganzes Leid der einzigen Vertrauten ins elfenbeinerne Ohr flüstern konnte.
»Geeka liebt Meriem«,
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