Tarzan 04 - Tarzans Sohn
farbig ausgestalteten, phantasiereichen Erzählungen gelesen hatte, hatte ihn als einen Flüchtling in den Dschungel getrieben. Er wagte nicht, an diesem Punkt zur Küste zurückzukehren – wobei er sich bei dieser Überlegung weniger von seiner Angst leiten ließ als von dem Wunsch, seinen Eltern weitere Sorgen und die Schande zu ersparen, daß ihr Name mit einem Mordprozeß in Verbindung gebracht und dadurch besudelt wurde.
Als der neue Tag anbrach, schwand seine Niedergeschlagenheit. Mit der Sonne stieg neue Hoffnung in ihm auf. Er würde auf anderem Wege in die Zivilisation zurückkehren. Niemand würde vermuten, daß er etwas mit dem Tod des Fremden in dem kleinen abgelegenen Handelsposten an jenem fernen Küstenstrich zu tun hatte.
Eng an den großen Affen geschmiegt, hatte der Junge in der Gabelung eines großen Baumes fröstelnd eine fast schlaflose Nacht verbracht. Sein dünner Schlafanzug bot nur wenig Schutz gegen die kühle Feuchtigkeit des Dschungels, und nur die Seite, mit der er sich an den warmen Körper seines zottigen Gefährten geschmiegt hatte, war von wohliger Wärme durchströmt worden. Deshalb begrüßte er die aufsteigende Sonne mit ihrer Verheißung von Wärme und Licht – die gesegnete Sonne, die körperliche und geistige Beschwerden vertrieb.
Er rüttelte Akut wach.
»Komm«, sagte er. »Mir ist kalt, und ich habe Hunger. Wir wollen dort im Sonnenschein nach Nahrung suchen«, und er wies auf eine offene Fläche, auf der einzelne Bäume standen und zerklüftete Felsbrocken ragten.
Der Junge glitt bei diesen Worten nach unten, aber der Affe hielt erst sorgsam Umschau und nahm die Witterung der Morgenluft auf. Als er sich überzeugt hatte, daß in der Nähe keine Gefahr drohte, stieg er bedächtig zu dem Jungen hinunter.
»Numa, der Löwe, und Sabor, seine Gefährtin, verschlingen diejenigen, die zuerst absteigen und dann Umschau halten, während diejenigen, die sich zuerst umschauen und dann heruntersteigen, am Leben bleiben, um andere zu verschlingen.« So vermittelte der alte Affe Tarzans Sohn die erste Lektion der Dschungelweisheit. Nebeneinander gingen sie über die rauhe Ebene, denn der Junge wollte sich zunächst einmal erwärmen. Der Affe zeigte ihm die besten Stellen, wo er nach Nagetieren und Würmern suchen könne, doch der Junge schüttelte sich bei dem Gedanken, derart widerliche Dinge zu verzehren. Sie fanden einige Eier, und die trank er aus, wie er auch von den Wurzeln und Knollen kostete, die Akut ausgrub. Jenseits der Ebene stießen sie an einem nicht allzu hohen Steilhang auf Wasser – eine brackige, übelriechende Brühe in einem flachen Wasserloch, dessen Ränder von vielen Tieren zertrampelt waren. Eine Zebraherde stob bei ihrem Auftauchen davon.
Der Junge war inzwischen zu durstig, als daß er etwas verschmäht hätte, was auch nur im entferntesten an Wasser erinnerte, und trank sich satt, während Akut hoch aufgerichtet nach drohenden Gefahren Ausschau hielt. Ehe er selbst trank, schärfte er dem Jungen ein, wachsam zu sein, hob jedoch selbst auch beim Trinken immer wieder den Kopf, um kurz zu einer etwa einhundert Yards entfernten Buschgruppe auf der anderen Seite des Wasserloches zu blicken. Als er fertig war, erhob er sich und redete mit dem Jungen in der Sprache, die ihr gemeinsames Erbe war – der Sprache der großen Affen.
»Lauert in der Nähe irgendeine Gefahr?« fragte er.
»Nein«, antwortete der Junge. »Nirgends hat sich etwas bewegt, während du getrunken hast.«
»Deine Augen werden dir im Dschungel keine große Hilfe sein«, erklärte der Affe. »Wenn du hier leben willst, mußt du dich auf deine Ohren und deine Nase, zumeist auf die, verlassen. Als wir zum Trinken herkamen und ich die Zebras unsere Witterung aufnehmen sah, war mir klar, daß auf dieser Seite des Wasserloches keine Gefahr lauerte, sonst hätten sie sie entdeckt und wären geflohen, ehe wir kamen. Doch kann sich eine Gefahr auf der anderen Seite verbergen, in die der Wind weht. Wir könnten sie nicht wittern, da ihr Geruch in die andere Richtung getragen wird. Deshalb lenkte ich Ohren und Augen in Windrichtung, wohin meine Nase nicht reichen kann.«
»Und was hast du entdeckt? Nichts!« sagte der Junge lachend.
»Ich entdeckte Numa, er hockt dort in jener Buschgruppe, wo das Gras so hoch wächst«, antwortete Akut und wies hin.
»Ein Löwe?« rief der Junge. »Woher willst du das wissen? Ich kann nichts sehen.«
»Dennoch ist er dort«, erwiderte der große Affe.
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