Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
Umwelt, in der Veränderungen zeitlich nicht in die Lebensspanne und räumlich nicht in den Aktionsradius der betrachteten Art fallen.
3.3.6 Optimales Verhalten
Nicht nur morphologische und physiologische Eigenschaften von Organismen, sondern auch ihr Verhalten hat eine vererbbare genetische Grundlage und hat sich im Laufe der Evolution herausgebildet, wenngleich insbesondere bei Arten mit hoch entwickeltem Nervensystem das Verhalten häufig individuell durch Erfahrung und Lernen modifiziert wird. Bei der Suche nach Nahrung, bei der Fortpflanzung, bei der Konkurrenz mit anderen Tieren und allen anderen Aktivitäten zeigen Tiere die Verhaltensweisen, die bei ihren Vorfahren in derVergangenheit erfolgreich waren, ihre Fitness erhöht haben und daher vererbt wurden. Die Frage, welche Verhaltensweisen sich unter bestimmten ökologischen Bedingungen im Laufe der Evolution durchsetzen und erhalten bleiben, d. h. evolutionär stabil sind ( ESS: evolutionary stable strategy ), wird im Gebiet der Verhaltensökologie untersucht.
Eine zentrale Annahme bei der verhaltensökologischen Untersuchung der Nahrungswahl ist das Konzept des „ Optimal Foraging “. Es geht davon aus, dass Tiere die Nahrung bevorzugen sollten, die den Energiegewinn maximiert. Wichtig ist, dass dabei auch der Energieverlust berücksichtigt wird, der zur Suche und zum Überwältigen und Verzehren der Nahrung benötigt wird. Dieser Energieverlust wird meist in Suchzeit ( search time ) und Bearbeitungszeit (Zeit zum Überwältigen, Verzehren und Verdauen der Beute; handling time ) gemessen. Optimal Foraging sollte dazu führen, dass Tiere die Nettorate ihrer Energieaufnahme optimieren. Tatsächlich kann man an vielen Beispielen zeigen, dass sich Tiere optimal verhalten, wenn es darum geht, welche Beute sie wählen, wo sie nach Beute suchen und wie lange sie an einer Stelle suchen (Konzept der patch residence time ). Oft bevorzugen Räuber häufige Beutetiere, die weniger Suchzeit erfordern gegenüber seltenen Beutetieren, selbst wenn letztere energiereicher sind. Auch das Verhältnis zwischen Suchzeit und Bearbeitungszeit ist von Bedeutung. Sind geeignete Beutetiere sehr selten und die Suchzeit nach Beute im Verhältnis zur Bearbeitungszeit daher lang, dann fressen Räuber oft nahezu alle Beutetiere, die sie finden, d. h. sie haben ein breites Beutespektrum. Sind Beutetiere dagegen häufig und die Suchzeit im Vergleich zur Bearbeitungszeit gering, können es sich Räuber leisten, wählerisch zu sein und fressen nur besonders gut geeignete Beutetiere, haben also ein engeres Beutespektrum.
Nicht immer entspricht das Nahrungswahlverhalten von Tieren den Vorhersagen, die basierend auf dem Konzept des Optimal Foraging gemacht werden. Das kann einmal daran liegen, dass Tiere nicht „allwissend“ sind, und bei variablen Bedingungen nicht „vorhersagen“ können, wie viel Nahrung von welchem Typ in einem bestimmten Gebiet zu erwarten ist. Und es kann daran liegen, dass neben Energiegehalt der Nahrung, Suchzeit und Bearbeitungszeit auch andere Faktoren bei der Beutewahl von Bedeutung sind. Bei Bedrohung durch natürliche Feinde begnügen sich Pflanzenfresser manchmal mit Pflanzen, die weniger gut als Nahrung geeignet sind, wenn dort weniger Feinde zu erwarten sind, also einen feindfreien Raum ( enemy free space ) darstellen. Ein feindfreier Raum kann auch darin bestehen, dass Tiere ihre Nahrungssuche auf die Nacht verlegen. Manche Tiere halten sich länger als es eigentlich optimal wäre in einem Nahrungsgebiet auf, da sie bei der Suche nach einem neuen Nahrungsgebiet selbst einem Räuber zum Opfer fallen können. Die Konkurrenz mit Artgenossen kann ebenfalls das Verhalten beeinflussen. In einem berühmten Experiment, das oft als Praktikumsversuch wiederholt wird, wurde gezeigt, dass sich eine Gruppe von Vögeln, die um Nahrung konkurrieren, zwischen zwei Fressplätzen so aufteilt, wie es der verfügbaren Nahrung entspricht. Bietet ein Fressplatzdoppelt so viel Nahrung wie ein anderer, so ist auch die Anzahl der Vögel an diesem Ort doppelt so hoch ( ideal free distribution ).
Neben den Verhaltensweisen bei der Nahrungswahl sind Konkurrenzverhalten, Sexualverhalten und die Evolution von altruistischem Verhalten Schwerpunkte der Verhaltensökologie. Bei der Konkurrenz um Weibchen, Reviere oder andere Ressourcen kann man beobachten, dass die Konkurrenten oft, aber durchaus nicht immer, ein ritualisiertes Kampfverhalten und keinen echten Kampf zeigen und
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