Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
werden wir auch.« Ihre Stimme ist leise und gedämpft. Ich spüre, wie unsicher sie tatsächlich ist und wie viel ich tun muss, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Um sie davon zu überzeugen, dass ich immer noch Tate bin und sie immer noch Christina ist und wir Freunde sind – trotz aller Verrücktheit, trotz aller Unterschiede zwischen uns, trotz des Familienvermächtnisses, das ich nicht verstehe …
Und viel wichtiger noch: Ich will ihr noch mal sagen, dass ich sie liebe, dass ich alles tun würde, damit sie sicher ist. Aber ich sehe ein, dass im Moment Worte nicht so viel zählen. Also halte ich sie fest und bete, dass sie es durch meinen Herzschlag spürt. Sie dreht sich um, sodass ihr Kopf auf meiner Brust liegt, und ich schließe die Augen und lasse mein klopfendes Herz das Reden für mich übernehmen.
Es ist ein ruhiger Augenblick, aber nicht belastet. Ein wahrhaft ruhiger Augenblick. Frieden.
Ein Frieden, der vom Klopfen an der Tür gestört wird. »Tate?«, flüstert meine Mutter.
»Wir sind wach«, sage ich.
Meine Mom streckt den Kopf herein. »Wir fahren bald. Steht ihr bitte auf?«
Als die Tür wieder zufällt, schnappe ich mir Dads Telefon. Das Display zeigt noch nicht einmal fünf Uhr morgens. Es dauert mindestens noch zwei Stunden, bis die Dateien vollständig entschlüsselt sind. Was bedeutet, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich greife rüber und schalte die Nachttischlampe an, ein schweres altes Teil mit einem gläsernen Lampenschirm. Christina hält sich eine Hand vor die Augen und stöhnt. Durch ihre Finger hindurch lugt sie in meine Richtung. »Vielleicht solltest du das wieder ausmachen. Ich sehe bestimmt schrecklich aus.«
»Ich dachte gerade, wie schön es ist, so aufzuwachen.«
Ihre Wangen färben sich rosa und sie schenkt mir ein zaghaftes Lächeln. »Ich auch.«
Ich gehe zum Kleiderschrank und ziehe eine Hose von einem Bügel, wieder einmal dankbar, dass Charles einen Sohn hat, der ungefähr so groß ist wie ich. Die Hose ist ein paar Zentimeter zu kurz, passt aber in der Taille ganz gut, und die Slippers sind einen Tick zu eng, aber ich bin froh, etwas zu haben, das ich über die Füße ziehen kann.
Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Christina auf ihr Kleid hinabblickt.
»Können wir irgendwo anhalten und mir ein paar normale Klamotten besorgen? Ich fühle mich ein bisschen … wie eine amische Frau.«
In der Annahme, dass wir immer noch vorhaben, George vom Flughafen abzuholen, gehe ich davon aus, dass wir Zeit haben sollten, auf dem Weg dorthin etwas zu kaufen. »Ich glaube, das kriegen wir hin.«
Sie steht auf und streicht den Rock glatt, der jetzt hoffnungslos zerknittert ist. Ihre Haare fallen ihr wild über die Schultern, und wenn nicht ab und zu der weiße Verband darunter aufblitzen würde, dann käme man niemals auf die Idee, dass sie vor zwei Tagen angeschossen wurde. Als sie den Kopf hebt, sieht sie mir in die Augen. Warm. Echt. Als könnte eines Tages alles wieder in Ordnung sein. Ich kann es kaum glauben, dass sie da ist und mich so anlächelt.
Sie lässt mich ihre Hand halten, während wir den Flur entlang zum Wohnzimmer laufen. Mom und Charles sind da, und wie man an den Ringen unter ihren und an den Tränensäcken unter seinen Augen sieht, sind sie noch lange, nachdem ich ins Bett gegangen bin, wach geblieben und haben geredet.
»Gleich nachdem du schlafen gegangen bist, haben wir von einem von Charles’ Kontakten die Nachricht erhalten, dass Race New York verlassen hat«, sagt meine Mutter mit Blick auf ihre Tastatur. Sie hat ein paar Sachen von Charles angezogen, eine schwarze Hose und ein weißes Anzughemd, die an ihrer schmalen Figur herunterhängen. »Wir haben George benachrichtigt, der sofort in Chicago losgeflogen ist. Eben ist er gelandet; er ist auf dem Weg hierher.«
»Glaubt ihr, Race kommt unseretwegen?«
Charles winkt ab. »Nach allem, was wir wissen, könnte er auch auf dem Weg nach Chicago sein.«
»Ja, und nach allem, was wir wissen, könnten Sie ihn gewarnt haben, als er hier angerufen hat«, blaffe ich.
»Tate, ich brauche deine Hilfe«, sagt Mom, und ich wende mich von Charles ab, bevor er sich in Ausflüchten ergehen kann. »Kannst du alle Spuren der entschlüsselten Dateien beseitigen?«
»Löscht sie nicht, Mitra«, ruft Charles, während er zu uns herüberrollt und mir eine Hand auf den Arm legt. »Ich will noch in der Lage sein …«
Unsanft schüttele ich ihn ab. »Mann. Wenn Race hier reinkommt, hat er nicht nur Zugriff
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