Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
angerufen, oder etwa nicht? Du hast ihnen erzählt, wo wir hinfahren und mit wem wir uns treffen! Das hast du getan, oder nicht?«
»So etwas denkst du von mir?« Christina wechselt zurück auf die rechte Spur und jagt eine Ausfahrt hinunter. »Ich habe verdammt noch mal meine Eltern angerufen, du Volltrottel! Hast du gedacht, sie nehmen das ganz locker, wenn ich plötzlich aus der Schule verschwinde?«
Sogar jetzt, da ich total durchdrehe, weiß ich, dass sie zu schnell fährt. Die Metallmasten der Straßenlaternen huschen als stählerne Kleckse vorbei, genauso wie die Schilder, die mir sagen, dass wir in Secaucus sind. Sie rast von der Ausfahrt herunter und heizt in einem solchen Tempo auf eine Straße zu, dass ich tatsächlich eine Sekunde lang glaube, wir überschlagen uns gleich.
Ihr Gesicht ist jetzt tränenüberströmt. »Ich muss nach Hause! Es war bescheuert von mir, mit dir zu kommen!«, weint sie. Sie wischt sich mit dem Handrücken die Wangen ab und schnieft, doch sie verlangsamt kaum das Tempo, noch nicht einmal, als sie scharf links auf das winzige Grundstück eines spärlich bewaldeten Spielplatzes abbiegt und einen Stadtbus schneidet.
Wir schleudern auf eine Haltestelle zu, neben der ein Schild steht, das auf einen nahe gelegenen Bahnhof hinweist. Sie reißt den Schlüssel aus dem Zündschloss und schleudert ihn zu mir. Er trifft mich an der Brust und fällt auf den Boden.
»Ich finde schon selbst nach Hause.« Sie reißt die Tür auf, schwingt sich den Rucksack über die Schulter und steigt aus. Ich sitze da, beobachte ihre entschlossenen Schritte und versuche, wieder zu Atem zu kommen. Das Rot verblasst schnell in meinem Sichtfeld und die Stimme in meinem Kopf ist jetzt lauter.
Sie sagt mir, was für ein Arschloch ich bin.
Als der Vorhang der Vernunft fällt, wie immer zu klein und zu spät, sehe ich alles. Ich habe sie hier mit reingezogen. Sie hat nichts anderes getan, als mir zu helfen, zu mir zu halten, an mich zu glauben. Wenn sie etwas mit alldem zu tun hätte, wenn sie gewusst hätte, wer hinter mir her war, dann hätte sie es ablehnen können mitzukommen. Sie hätte mich an Ort und Stelle verlassen können. Hat sie aber nicht. Stattdessen hat sie ihr Leben riskiert. Sie hat sich auf den Fahrersitz geschwungen – als demjenigen, der zuletzt darauf gesessen hatte, gerade das Hirn weggepustet worden war.
»Verdammte Scheiße«, presse ich hervor, springe aus dem Auto und renne ihr hinterher. »Christina!«
Sie geht kein bisschen langsamer. Ich stolpere über einen vorstehenden Pflasterstein auf dem Gehweg, und bis ich mich wieder gefangen habe, hat sie die riesige Kreuzung schon überquert. Und natürlich ist die Ampel gerade umgesprungen.
Zu Fuß werde ich sie niemals einholen. Also renne ich zurück zu dem Geländewagen und angele nach dem Schlüssel. Es ist nicht besonders sicher hier und sie ist ganz alleine. Und schon wieder ist es meine Schuld.
Ich fahre aus der Parklücke raus und die Straße hinunter, während meine Gedanken Schlag auf Schlag im Inneren meines Schädels landen. Idiot. Idiot. Finde sie. Finde sie. Die Ampel an der Kreuzung wird grün, als ich dort ankomme, endlich einmal ein glücklicher Zufall, und ich bremse nicht einmal ab, als …
Alles um mich herum explodiert.
ACHT
Mir ist undeutlich bewusst, dass meine Welt aus den Fugen geraten ist, dass ein Aufprall mir die Luft aus den Lungen gepresst hat, fliegendes Glas, Schmerzen. Alle anderen Geräusche schwinden dahin, mit Ausnahme des schrecklichen Schlittern-Kratzen-Reißen-Kreischen …
Dann herrscht Stille.
Ich liege auf der Seite, mein Kopf ruht auf dem in sich zusammenfallenden Vorhangairbag der Seitentür. Er ist das Einzige, was mich vom Asphalt trennt. Ich schaue auf Autoreifen und auf Füße, die dahin laufen, wo vorher noch die verdammte Windschutzscheibe war.
»Tate!«
»Christina?«, versuche ich zu sagen, aber ich habe etwas im Hals und fange an zu husten. Blut. Es tropft aus meiner Nase, meinem Mund. Ich würge und spucke es aus, wobei ich versuche, den metallischen Geschmack von meiner Zunge zu bekommen.
Dann ist ihr Gesicht genau da, wo vorher die Windschutzscheibe war. »O Gott«, flüstert sie.
»Du bist zurückgekommen«, murmele ich. Meine Hände kribbeln. Meine Beine auch. Ich sehe an mir herunter. Sie hängen noch an mir dran und ich scheine auch die Kontrolle über sie zu haben. Einigermaßen.
Sie verzieht das Gesicht, während sie mich betrachtet, und atmet zitternd ein.
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