Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
beschleunigt gemächlich, als die Fahrbahnen wieder frei sind. Sie schaltet die Musik aus und gibt Christina den Adapter zurück; ihre Hände zittern leicht, als sie wieder das Lenkrad ergreift. Zum ersten Mal wird mir klar, dass es wahrscheinlich einen Grund dafür gibt, dass meine Mom Valium hat. Sicher trägt sie es nicht als Waffe mit sich herum, um ihre Feinde beliebig zu sedieren. Sie hat es bei sich, weil sie es selbst braucht, wenn alles zu viel wird, wenn sie die Lage nicht meistern kann.
Plötzlich fühle ich mich wie ein Arschloch, denn ich war wirklich hart zu ihr, und das nicht nur am vergangenen Tag, sondern in den vergangenen vier Jahren. Sie reißt sich so zusammen. So sehr, dass ich sie immer wie eine Art Supermensch betrachtet habe. Und das ist sie ja irgendwie auch, aber sie ist auch eine Frau, die den Mann verloren hat, den sie geliebt hat – und die einen verkorksten Volltrottel zum Sohn hat, der sich selbst in einen Riesenschlamassel reingeritten hat. Ich lange nach vorn und drücke ihre Schulter, woraufhin sie die Hand auf meine legt und sie ebenfalls drückt.
Ich sacke zurück in den Sitz, lehne den Kopf gegen die Kopfstütze und schließe die Augen. Nur noch ein paar Stunden bis Virginia, wo es hoffentlich auch einen sicheren Ort gibt, an dem wir außer Sichtweite sind und entscheiden können, was wir verdammt noch mal mit diesem Scanner anstellen sollen, diesem Plastikteil mit den außerirdischen Schaltungen, das alle haben wollen, für das manche sogar bereit sind zu töten. Wieder will ein Teil von mir es zerstören, doch mein Dad hat es gebaut – anscheinend jahrelang daran gearbeitet –, und er hat gesagt, es sei wichtig. Ich bin davon überzeugt, dass es noch mehr kann, als bloß zwischen Menschen und H2 zu unterscheiden. Nicht nur wegen der Dinge, die mein Dad gesagt hat. Schließlich wurde der Scanner aus den Überresten eines abgefahrenen Alien-Raumschiffs gemacht, und deshalb glaube ich wirklich, dass er etwas Einzigartiges ist, was die H2 noch nicht haben, da sie anscheinend alle anderen Wrackteile der Raumschiffe geborgen haben. Das Schiff, das in der Morecambe Bay gecrasht ist, könnte irgendwas Besonderes gewesen sein. Inwiefern, das muss ich rausfinden.
Doch im Moment tut mein Kopf weh, und ich kriege den logischen Faden, den ich brauche, nicht zu fassen. Einen Augenblick lasse ich mich treiben. Tue so, als wäre ich bloß auf einem Ausflug. Im Moment fällt es leicht, das zu glauben. Dieser Polizist schien mehr daran interessiert zu sein, Christina zu begaffen, als nach Flüchtigen Ausschau zu halten, und ich kriege allmählich wieder Hunger. Es ist schon ganze achtzehn Stunden her, seit jemand auf mich geschossen hat. Es könnte ein normaler Tag sein. Ich könnte ein normaler Junge mit einem normalen Leben sein, obwohl ich mir nicht einmal sicher bin, wie sich das anfühlt.
Ich bin so sehr mit meinen Tagträumen beschäftigt, dass ich nicht einmal mitkriege, dass meine Mom beschleunigt hat, bis wir irgendwann über hundertdreißig fahren, bis sie mit tödlicher Ruhe sagt: »Sie folgen uns.«
DREIZEHN
Christina und ich wirbeln herum und spähen aus dem Heckfenster. Ich habe keine Ahnung, wie meine Mom sie entdeckt hat, aber sie hat recht: Da sind drei schwarze Geländewagen, die durch den spärlichen Verkehr flitzen, als würden alle anderen stillstehen. Wir sind jetzt auf der Umgehungsstraße Richtung Wilmington. Moms Blicke huschen alle paar Sekunden zum Rückspiegel.
»Vielleicht sind sie’s gar nicht«, flüstert Christina kaum hörbar. Ich sage nichts, weil mir klar ist, dass hier bloß der Wunsch Vater des Gedankens ist.
Meine Mom muss in die Eisen gehen, um nicht in ein Auto reinzubrettern, das mit achtzig Sachen auf der Überholspur unterwegs ist. Sie fängt an, sich durch den Verkehr zu schlängeln, und versucht, Abstand zwischen uns und die Geländewagen zu bringen. Aber die Verfolger kommen schnell näher.
»Die Polizei können wir schlecht anrufen, oder?«, sagt Christina. Sie klingt fast so verzweifelt, wie mir zumute ist. Irgendetwas in mir verkrampft sich und wird heiß wie ein Klumpen geschmolzenes Eisen, das alle weichen, blutenden Teile von mir verätzt und mich von innen hart macht. Mir ist egal, was ich tun muss, aber ich werde dafür sorgen, dass Christina aus dieser Sache wieder rauskommt. Meine Mom hatte recht: Sie sollte überhaupt nicht hier sein. Doch da sie nun einmal hier ist, bin ich dafür verantwortlich, dass ihre Eltern sie
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