Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
plötzlich den Wunsch, sich umzudrehen, zu schauen. Der Meister, was ist mit ihm? Sie möchte zurücklaufen. Aber ihr fehlt jegliche Kraft, irgendetwas anderes zu tun, als an Rebekkas Hand den Weg entlangzustolpern. Nach einer Weile erreichen sie einen breiteren Ziehweg. Gwen meint sich dunkel zu erinnern, dass der alte Maultierpfad irgendwo oben in die Landstraße nach Establiments mündet. Sie hat ganz vergessen, dass es ihn gibt, so lange ist es her, dass sie sich mal die Zeit genommen hat, einfach so herumzuspazieren. Er führt durch kleine Olivenhaine hindurch, glaubt sie noch zu wissen. Bedauern und fast ein wenig Trauer über die verpassten Gelegenheiten breiten sich in ihr aus. Sie fröstelt.
„Wir sind gleich da“, flüstert ihr Rebekka ins Ohr und haucht einen Kuss darauf. In ihrer undefinierbaren Stimmung möchte Gwen sich plötzlich anlehnen, sich fallen lassen, wünscht sich ganz gegen jede Vernunft, Rebekka möge sie hier und jetzt umarmen, sie küssen. Ihre Gefühle wirbeln durcheinander wie Wäsche in einer Trommel. Jede Umdrehung versetzt ihr einen Schlag in den Magen.
„Komm, steig ein.“ Rebekka möchte ihr in das Auto helfen, sie wehrt sich. Warum steht es hier, fragt sich Gwen einen Moment verwundert, während Rebekka von ihr ablässt und um das Fahrzeug herumgeht. Gwen steht wie angewurzelt. Wie unter Zwang dreht sie sich um. Ihr Mund öffnet sich voller Staunen. Das Haus ist etwa hundert Meter entfernt, es liegt etwas unterhalb, anscheinend sind sie bergauf gelaufen.
Orangerot steigen die Flammen aus dem Dachstuhl auf, lodern in den dunklen Himmel, scheinen zu tanzen wie Feen oder Hexen in roten, leuchtenden Kleidern. Ja, wie Hexen reiten sie auf ihren Besen in den Himmel. Sie kann sich nicht lösen von dem Anblick. Dann hört sie plötzlich das Knistern. Es überfällt sie geradezu mit seinem Lärm. Verwundert schüttelt Gwen den Kopf, weil ihr erst jetzt das Klagen und Stöhnen des Feuers bewusst wird.
Ihr Verstand beginnt zu arbeiten, und Panik breitet sich in ihr aus. Sie schreit Rebekka zu, die gerade auf der Fahrerseite in das Auto einsteigen will: „Rebekka, wir müssen zurück, der Meister ...! Wir müssen ihn rausholen, wir können ihn nicht einfach so da drin lassen, bitte. Lass uns ...“
„Beruhige dich Gwen, er ist in Sicherheit, ich habe ihn hinter uns rausgehen sehen, er ging zur Höhle. Ich wollte dich nicht beunruhigen, du sahst so erschöpft aus. Komm jetzt, setz dich. Vertrau mir, ich bringe uns in Sicherheit.“ Rebekkas Stimme wird vom Wind verweht.
Gwen kann den Blick nicht von den Flammen abwenden. Wir sollten in einem Scheiterhaufen verbrennen, ist einer der Gedanken, die ihr diffus durch das Gehirn geistern und von denen sie nur Fetzen zu packen bekommt. Die Flammen scheinen die Fäden, die alles verbinden, zu schmelzen. Ihr Leben löst sich in Nichts auf. Ihr Leben, das aus Arbeit bestand. Die Früchte ihrer Arbeit werden gerade dem Feuer geopfert. Was wird jetzt aus ihr? Woher soll sie die Kraft nehmen, von vorn anzufangen? Sie möchte toben, heulen, schreien. Aber nichts gelingt, ihr Mund bleibt stumm, ihre Augen trocken. Ein anderer Gedanke schleicht in ihr Hirn, er tröstet, ist warm, rosig, angenehm, sagt: Du bist frei. Nichts belastet dich mehr, alles verbrennt, alle schlimmen Erinnerungen werden durch das Feuer geläutert, reingewaschen, bleiben zurück, werden zerstört, können dich nicht mehr erreichen. Plötzlich möchte sie vor Freude in die Luft springen. Die Erkenntnis fühlt sich an wie reines Quellwasser in einer durstigen Kehle. Ihre Schultern straffen sich, sie lacht laut auf, als sie sich in den Fahrzeugsitz gleiten lässt.
„Okay, lass uns in die Freiheit fahren.“
Rebekka schaut Gwen verwundert an.
Kapitel 37
Das Eingangstor ragt wie ein Gefängnisgitter verschlossen vor Julia und Ulla auf. Ein Taxi ist weit und breit nicht zu sehen. Julia fragt sich, ob es überhaupt kommen wird. Wenn der Fahrer den Brand sieht, wird er umkehren oder erst gar nicht in die kleine Zufahrtsstraße einbiegen. Das Gefühl der Enttäuschung nimmt ihr augenblicklich die Kraft, weiterzugehen. Ulla steht immer noch neben ihr, wie ein lebloser Gegenstand.
„Ulla, bitte, was sollen wir machen? Mein Gott, gibt es denn keine Hilfe?“
Am Rand ihres Bewusstseins registriert Julia, dass sich die weiße Gestalt mit der hohen Kapuze auf sie zubewegt. Noch ist sie gute hundert Meter entfernt. Der Umstand löst einen Adrenalinschock in Julia aus und befreit
Weitere Kostenlose Bücher