Tatort Oktoberfest (German Edition)
Lieblingsstar fotografieren zu lassen. Beispielfotos zeugen von strahlenden Helden und Heldinnen. Der Biergarten am Fuß des Turms ist einigermaßen besucht. Das Lokal wirkt ein wenig steril, findet di Flavio und erinnert sich an den Jazzbiergarten, den er mit Heimstetten bei seinem letzten Besuch kennen lernte. Waldwirtschaft? Schattige Kastanien, viel Grün und fetzige Jazzmusik, ja, das hatte ihm besser gefallen. Etwas verwundert hatte er beobachtet, wie der junge Kollege eine Tischdecke auf dem Holztisch ausbreitete und dann aus seinem Korb Käse, Brot, Radieschen und Gurken hervorzauberte und dazu stellte. „Kann man alles mitbringen, nur das Bier müssen Sie kaufen“, erklärte er ihm, weil er wohl seinen verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte. Der Weg windet sich jetzt an einem künstlichen See entlang, und di Flavio teilt ihn sich mit Joggern, Walkern und Spaziergängern aller Art.
Das Brummen seines telefoninos reißt ihn aus dieser friedvollen Idylle.
„Ja, di Flavio … Ah, Erica, ja, mir geht es gut … Nein, ich komme zurecht …“ Wortlos hört sich di Flavio eine Weile an, mit welchen ihrer Meinung nach wichtigen Leuten seine Frau in den letzten Tagen zusammengekommen ist. Erst als sie den Empfang in der BMW-Welt erwähnt, und dass ihr Freund, der Großindustrielle, er wüsste schon wer, heute dort sein würde, weil er mit diesem neuen Wirt zusammen in die Volksschule gegangen wäre, horcht er auf. „Der Vater der anderen Bewerberin, einer Claudia, kommt übrigens aus Nicotera. Aber hast du davon überhaupt schon was mitbekommen? Wahrscheinlich nicht, dein Blick ist ja immer nur auf die Leute der ’Ndrangheta gerichtet, wo immer die sich auch verstecken. Wir Normalbürger verkehren jedenfalls in anderen Welten. Du solltest dich darin auf jeden Fall mal umhören. Nicht, dass du mich wieder so blamierst, wenn du dich mit meinen Bekannten auf der Wiesn unterhältst.“
Er lässt Ericas Worte noch eine Weile an sein Ohr plätschern und flicht nur ab und an ein „Sì, sì“ ein. Erst als Erica sich empört: „Unterlasse es, so fies zu grinsen“, bemüht er sich um mehr Aufmerksamkeit. Er fühlt sich tatsächlich ertappt. Mein Gott, sie kennt ihn wirklich gut.
„Passt schon“, grummelt er und muss auch schon wieder lächeln, weil ihm dieser Ausspruch, mit dem die Münchner eher zähneknirschend ihre Zustimmung bekunden, während sie denken: „Rutsch mir doch …“, so einfach rausgerutscht ist. Er beeilt sich, den Gegenstand des Gesprächs auf seine Tochter zu fokussieren und fragt schnell, ob Erica schon etwas gehört hätte, und landet damit wieder auf sicherem Terrain.
Auf seinem Heimweg kommt die BMW-Welt erneut in sein Blickfeld, und wieder streiten sich in ihm einerseits Bewunderung für die architektonische Leistung, anderseits Zweifel, ob ein solcher Tempel für den Götzen Auto in der heutigen Zeit der Luftverpestung und der zunehmenden Umweltschäden noch Anerkennung verdient. Mit gemischten Gefühlen biegt er in das olympische Dorf ein, sieht eine Post, ein Café und ein chinesisches Restaurant. Als er die Weltuhr entdeckt, erinnert sich di Flavio an die Olympischen Spiele 1972. In jener Zeit hatte er ziemlichen Stunk mit seinem Vater. Kurz vor dem Abitur ließ er die Schule schleifen, und es hagelte Vorwürfe. Er wollte gerade wutentbrannt aus dem Zimmer stürmen, als die Bilder von der Geiselnahme der israelischen Sportler über den Fernseher flimmerten. Der Streit war vergessen, sein Vater und er saßen geschockt vor dem Bildschirm. Eines der Bilder zeigte jene Uhr. Über dreißig Jahre ist das her, überlegt er. Die Welt ist leider nicht ärmer an solchen Ereignissen geworden.
Nach einigem Suchen findet der Commissario die Nadistraße und die richtige Hausnummer und fährt mit dem Lift in den sechsten Stock. In der Wohnung entdeckt er, dass Heimstetten ihm seinen Koffer bereits in eines der beiden Zimmer gestellt hat. Frische Handtücher und Bettwäsche liegen sorgfältig auf einem Stapel daneben. „Bitte fühlen Sie sich wie zu Hause, nehmen Sie aus dem Kühlschrank und auch sonst, wonach Ihnen der Sinn steht. Sie sind mein Gast“, versicherte der Kollege ihm immer wieder. Mit einem Glas Mineralwasser in der Hand öffnet er die Terrassentür und tritt hinaus. Der Fernsehturm ist allgegenwärtig und blickt ihn jetzt schon sehr vertraulich an. Ein Blick zur Uhr beruhigt ihn. Er hat noch ein Stündchen Zeit, bevor er aufbrechen muss. Eine Dusche, ein Nickerchen fasst er ins
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