Tatort Oktoberfest (German Edition)
fließen.
Bei dem Stichwort Blut fällt ihm der tote Luigi wieder ein. War da eigentlich Blut gewesen? Er ist unsicher. Seine Hand berührt Luigis Handy in der Hosentasche. Er muss es sofort loswerden. Soll er es einfach irgendwo hinter einen Stand schmeißen? Sicher ist es beim Zwölferlooping ideal.
Inzwischen ist es voller geworden. Die Menschen drängen alle in eine Richtung. „Schnell zur Krinoline …“, „Die Claudia …“, „Das Fernsehen …“, hört er, lässt sich von der Menge fortziehen und landet bei einem alten Karussell. Ludwig wundert sich. So was würden sie in Berlin nicht mehr hernehmen. Aber Julia hat ihm ja erklärt, hier ist alles alt. Nein, alt hat sie nicht gesagt, sondern: „Hier hat alles Tradition. Es ist so wie mit Ludwig II. Du verehrst ihn doch? Und so mögen die Menschen hier die alten Dinge, weil sie im nächsten Jahr auch noch da sind und weil sie schon als Kind auf so einem Holzpferd gesessen sind und es seine Runden gedreht hat. Mit deinen Eltern warst du auch als Kind immer auf dem Weihnachtsmarkt, und sie setzten dich in ein ähnliches Karussell.“
„Ich kann mich nicht erinnern“, hat er erwidert, und sie hatte genickt und ihm über das Haar gestrichen. „Schau, eines zum Beispiel heißt Pemperlprater und steht sogar unter Denkmalschutz. Es ist das älteste bekannte Fahrgeschäft der Welt, nichts ist aus Plastik, die Holzpferde haben sogar richtiges Rosshaar, und die Sättel sind handgemacht mit Silberschmuck. Aber man sitzt nicht nur so rum, sondern muss während des Fahrens versuchen, mit einem Stecher den goldenen Ring aufzuspießen, der aus einem Fischkopf aufsteigt.“
„Komischer Name.“
„Ja, das stimmt. Ich wusste am Anfang auch nichts damit anzufangen. Es pempelt so vor sich hin, es bewegt sich ohne Eile.“
„Für Kleinkinder in Pampers“, hatte er gemurmelt und sich dann lieber verdrückt, bevor sie nochmals auf die Idee kam, ihm über das Haar zu streichen, als wäre er noch ein solches Kleinkind.
„Ist das der Pempel-Stecker?“ fragt er jetzt einen der Passanten, die um ein altes Karussell herumstehen. Es muss dieses Ding sein, denn warum sonst würden so viele Leute hier gucken. „Nein, Junge, das ist die Krinoline. Du bist wohl nicht aus München?“
„Nee, ick bin aus Berlin.“
„Ah, so ist das, dann bist du also ein Preuße?“
„Wieso Preuße? Preußen jib’s doch janich mehr. Berlin ist Berlin, dann jibt’s da noch Brandenburg und weiter oben Meck-Pomm, wenn Ihnen det wat sagt. Aber Preußen, nee, det kenn ick nur aus dem Geschichtsbuch. Aber vielleicht ist det denn hier och nicht die Kreoline, sondern doch dieser komische Pempel-Stecher?“
„Na, passt schon. Aber es ist die Krinoline, benannt nach den Reifröcken der Damen in früheren Zeiten, und gleich kommt hier das Fernsehen und die Claudia.“
„Claudia ist meine Freundin.“
„Na ja, und du bist der Märchenkönig, nicht wahr?“
Ludwig nickt mit dem Kopf. „Ja, woher wissen Sie das?“
Der Mann lacht. „Du bist wohl nicht ganz richtig im Kopf? Oder hast du schon eine Maß intus, Junge?“
Ludwig geht ein Stück weiter nach vorn. „Soll der Opa doch glauben, wat er will. Meinetwegen bin ick och aus Preußen, verrückt, der Alte.“ Aber das mit Claudia, das ist was anderes. Wenn sie jetzt eintrifft, kann er sie ja fragen. Wobei, sie hat gesagt, es muss ein Geheimnis bleiben. Er wird schweigen wie ein Grab.
Ludwig wartet eine Weile. Immer mehr Menschen sammeln sich um das Karussell, das gemächlich, begleitet von den Walzerrhythmen einer kleinen Blasmusikkapelle, hoch und runter schaukelt. Er steckt die Hände in seine Hosentaschen, seine Finger stoßen erneut auf das Handy. Er schaut zur Uhr. Mist, schon ziemlich spät, Nadine wartet. Er schafft es nicht mehr zum Zwölferlooping, das ist Fakt. Was soll er machen? Er schmuggelt sich durch die Menschen hindurch und tritt an das Karussell heran.
„Na, wie ist es, junger Mann?“ lacht ihm eine ältere Dame zu.
„Ich weiß nicht“, murmelt er und schlägt die Augen nieder.
„Na komm, hast du kein Geld dabei? Ich spendiere dir eine Fahrt, weil du so ein hübscher Kerl bist.“ Sie lacht und schwenkt ein Glas Sekt in der Hand. Er schaut ihr nach. Inzwischen ist die Frau schon eine halbe Runde entfernt. Die Gondeln schaukeln langsam im Kreis hoch und runter. Als die Dame wieder in seine Nähe kommt und ihm abermals zuwinkt, macht er einen Schritt auf ihre Gondel zu. Seine Hand greift nach dem Handy.
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