Tatort Oktoberfest (German Edition)
Irgendwie schwebte er die Treppen hinunter. Ja, sie wollte ihn. Ihn, Ludwig.
„Hallo Ludwig, bist früh dran. Willst dich gleich in den Kini verwandeln, oder willst noch warten? Trägst heut ja vernünftige Jeans, nicht diese Rapperdinger“, begrüßt ihn Traudl am Stand. „Die Nadine ist noch nicht da.“
„Is gut, ick lauf noch bisken rum.“ Er strolcht an den Buden vorbei in die Fahrgeschäftsstraße. Es ist kurz nach Mittag, und richtig voll wird es erst in ein oder zwei Stunden. Das Kettenkarussell dreht sich mit vielen leeren Sitzen. Eine Bar, untergebracht in einem altmodischen Karussell, wird bereits umlagert. Während beim Autoscooter die Wagen auf Kunden warten, fetzt die Musik in hoher Lautstärke über die fast leere Bahn. Fette Sache, mit Claudia neben sich, das kleine Lenkrad voll durchzudrehen, irgendjemanden zu rammen, während sie sich dicht an ihn kuschelt.
Der Geruch von gebrannten Mandeln zieht ihm in die Nase, doch er entscheidet sich für die Zuckerwatte. Zufrieden mit dem weißen Berg in der Hand bleibt er neugierig vor einer Schaubude stehen. Über die offene Bühne hüpft ein Mann in kurzer Lederhose, über der er eine königsblaue Fantasie-Uniformjacke trägt. Lautstark lockt er die Leute zur nächsten Vorstellung an. „Heute Hinrichtung, auf geht’s beim Schichtl. Hier sind Sie hautnah dabei“, verspricht er. Stumm, weiß geschminkt, im Frack, einen Zylinder auf dem Kopf, steht der Scharfrichter hinten auf der Bühne. Ludwig beobachtet ihn fasziniert. Die Hinrichtung muss er sehen. Er klaubt Geld aus der Tasche, reicht es der Frau an der Eintrittskasse und nimmt im Theaterzelt auf einer der einfachen Holzbänke Platz. Draußen versucht der Mann, noch mehr Zuschauer anzulocken und langsam füllen sich die Reihen.
Endlich beginnt das Spektakel. Eine tanzende Schlangenfrau müht sich, das Interesse zu wecken. Danach die dickste Frau der Welt. Auch sie enttäuschend. Sie wackelt nur mit einem ausladenden Gestell, über das ihr Heidikleid gespannt ist. Dann ist es endlich so weit: Die Hinrichtung wird vorbereitet. Ludwigs Spannung steigt. Endlich wird die auf der Bühne thronende Guillotine in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt.
„Ein Originalstück aus Frankreich, schon bei der Revolution im Einsatz“, behauptet der Mann. „Auch in Frankreich regierte ein Ludwig. Der Sonnenkönig, ein absoluter Herrscher, 1789 kam es zur Revolution, der Adel wurde reihenweise geköpft. Mit dieser Guillotine …“ Der Scharfrichter lässt sie probeweise runtersausen. Der Kürbis, den er für die Demonstration darunter hält, spritzt mit einem Platsch auseinander. Jeder kann sehen, dass das Fallbeil echt und kein Betrug ist und tatsächlich scharf wie eine Machete. Ludwig rutscht nervös auf seiner Bank hin und her.
„Junger Mann. Sind Sie mutig genug? Ja? Sie stellen sich als Proband zur Verfügung. Wunderbar.“
Meint er mich? Ludwig blickt sich vorsichtig um. Ein Bursche weiter hinten fühlt sich angesprochen und stürmt vor. Zwar ist sich Ludwig sicher, der Scharfrichter hat ihn aufgefordert, und die Frau in dem Kostüm hat ihm zugewunken, auf die Bühne zu kommen, aber egal. Er will seinen Kopf lieber behalten.
Der andere steigt zwei Stufen hinauf. Ein Trommelwirbel. Der Delinquent legt seinen Kopf unter das Beil. Die Frau redet, der Henker schaut grimmig. Über den Kopf des Verurteilten wird ein schwarzes Tuch gebreitet. Wieder ein Trommelwirbel. Der Henker bezieht seine Position, zögert, betätigt den Hebel und … Das Beil saust mit einem kurzen Sirren herab. Blut spritzt, und ein dumpfes Geräusch verkündet, dass der Kopf gefallen ist.
Die Zuschauer stöhnen auf. In der nächsten Minute hält der Scharfrichter den Kopf mit dem schwarzen Tuch hoch, und die Frau redet wieder. Der Trommelwirbel setzt erneut ein.
Dann, recht unvermittelt, ist alles zu Ende. Ludwig ist enttäuscht, aber auch erleichtert, denn der Delinquent steht wieder da, mit Kopf und ohne Blut und lacht, und die Frau und der Scharfrichter schütteln ihm die Hand, und der Bursche steigt unbeschadet von der Bühne. Seine Begleiter eilen auf ihn zu und schütteln ihm ebenfalls die Hand, und dann streben alle dem Ausgang zu. Die Vorstellung ist aus.
Draußen lockt der Mann mit den kurzen Lederhosen schon wieder Leute für die nächste Vorstellung an. Gern würde Ludwig genau wissen, wie dieser megageile Trick funktioniert. Er würde noch viel mehr Blut spritzen lassen. Der rote Saft müsste triefen und
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