Tatort Oktoberfest (German Edition)
auf ihn ein. Sein Gesicht verzieht sich enttäuscht. Di Flavio schließt daraus, dass sie ihn im Augenblick nicht gebrauchen kann. Eine gute Gelegenheit, den jungen Mann einmal kennen zu lernen. Er verabschiedet sich von seinen Landsleuten. Sie fordern ihn lautstark auf, sich ihnen anzuschließen. „Andiamo! Wir müssen unsere Bella unterstützen. Wir erwarten dich beim Toboggan. Du musst unbedingt nachkommen. Freunde aus deiner Gegend sind ebenfalls unterwegs. Wollten schon bei uns sein. Vielleicht haben sie noch keinen Parkplatz für ihr Wohnmobil gefunden. Hier, meine Handynummer, ruf uns an.“
Di Flavio lächelt. „Wenn ich es schaffe – arrivederci.“ Er umarmt nacheinander die Mitglieder der Truppe und fühlt sich fast so, als wäre er zu Hause in Italien.
Es herrscht jetzt eine ziemliche Unruhe. Die meisten drängen nach draußen. Er zwängt sich gegen den Strom zu einer Box mit dem Schild „VIP-Bereich“. Erica fällt ihm ein. Dio, sie beschwert sich zu Recht. Er hat die Erinnerung an sie einfach in der hintersten Kammer seines Gedächtnisses versteckt. Sein nächster Gedanke schmeckt etwas bitter auf der Zunge. Geht es ihr anders? Leben sie nicht jeder ihr eigenes Leben?
Claudia wartet an einem der Tische und unterhält sich mit einem Ehepaar. Der Mann, ein machtvoller, distinguierter Mittfünfziger mit werbewirksamen, grauen Schläfen, groß, den kleinen Bauchansatz geschickt von einem guten Schneider versteckt, windet sich gequält, sein Lächeln wirkt aufgesetzt. Di Flavio erinnert sich, sein Bild bei den Zeitungsausschnitten gesehen zu haben. Ein Minister oder Ähnliches, auf jeden Fall ein Mann aus der Politik. Neben ihm anscheinend seine Frau, schlank, etwas jünger, aber nicht mehr jung, blond, gepflegt. Sie bemüht sich offensichtlich, seine Unhöflichkeit, sein Wegwollen auszugleichen. Als hinter Claudia die junge Moderatorin auftaucht, die sie sehr energisch am Ärmel zieht und ihr bedeutet, ihr zu folgen, blüht das Ehepaar spürbar auf.
Sein Blick überfliegt die restlichen Gesichter im VIP-Bereich. Ericas ist nicht darunter. Er atmet auf. Wahrscheinlich ist sie nicht nach München geflogen. Sie versprach ihm ja auch, Bescheid zu sagen. Er fingert rasch sein telefonino zutage. Hat er ihren Anruf aufgrund des Lärms versäumt? Ist eine SMS angekommen? Nichts von beidem. Gut. Er wird später probieren, sie zu erreichen. Er tritt an den Tisch ganz vorn beim Podium, an dem Ludwig einsam sitzt. „Hallo, ich bin Tino, ein Freund deiner Tante Julia aus Italien“, begrüßt er ihn, als er den Tisch erreicht. Der Junge schaut kurz auf, in seinem Blick ist weder Interesse noch Freude. Er ist blass. Seine Schultern hängen, seine Haltung spricht von Rückzug und Trauer. Der Commissario ahnt den Grund. Er ist in Claudia verliebt und hat Angst, sie braucht ihn nicht. Dunkel kann er sich an dieses Gefühl der Hilflosigkeit erinnern, welches seine Liebe zu Monica begleitete, als er in Ludwigs Alter war. Monica, ebenso wie Claudia bereits eine Frau und wesentlich älter als er. Füllt Ludwig bei Claudia auch eine Lücke wie er damals, weil ein anderer nicht verfügbar ist? Oh je, das gibt viele Schmerzen und doch, missen möchte er das Erlebnis keinesfalls. „Und, für heute genug Heldentaten bestanden? Wenn du willst, komm ich mit zu Traudl, du ziehst dich um, und wir gehen noch eine Pizza essen. Wir rufen Julia an, sicher hat sie Lust mitzukommen.“
„Ick weeß nich, ick will doch mit Claudia …“
„Ich glaube, Claudia kann im Augenblick niemanden gebrauchen, sie muss sich bewähren, und da stört jeder, der nicht zur Aufgabe gehört. Du hilfst ihr am besten, wenn du sie jetzt machen lässt.“
Die dunkelblauen Jungensaugen blicken ihn misstrauisch an, dann blitzt in ihnen Interesse auf. In ihnen steht: Woher weißt du das alles? Hast du mit ihr gesprochen? „Aber ich will doch …“
„Du möchtest ihr doch beistehen, richtig?“
Ludwig nickt, und als di Flavio aufsteht, schließt er sich ihm an.
„Wir können ja zu Claudia ins Restaurant gehen, wenn es heute keine Pizza gibt, dann spendier ich dir Spaghetti. Ist doch hier ganz in der Nähe, du kennst den Weg?“ Ludwigs Gesicht erhellt sich, die Idee scheint ihm zu gefallen. Also liegt di Flavio mit seiner Vermutung richtig. Als Ludwig sich bei Traudl umzieht, telefoniert er mit Julia.
Gleich nach dem Gespräch ruft Erica an. „Tino, wir haben es nicht geschafft, die richtigen Flüge zu bekommen und haben den Besuch beim
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