Tatort Oktoberfest (German Edition)
sich, dass Claudia, den Unterlagen nach, direkt über dem Lokal wohnt. Er wendet sich zum Treppenhaus.
Das Haus ist ein Altbau, die Stiegen sind aus abgetretenem Holz und riechen streng nach einem Honigholzpflegemittel. Er schleicht die Treppe hinauf. Aber das hätte er sich sparen können. In der Nähe des Wohnungseinganges sitzt Ludwig zusammengekauert auf der zweiten Stufe zum nächsten Stock und schläft. Im Schlaf sieht er noch jünger aus, findet der Commissario, und Rührung steigt in ihm hoch. „Hallo Ludwig, bitte nicht erschrecken, alles in Ordnung.“ Verschlafen blinzeln ihm zwei blaue Augen ungläubig und ängstlich entgegen. „Komm, ich fahre mit dir zu deiner Tante, es ist besser, du nimmst eine richtige Mütze Schlaf, bevor du hier …“, er zeigt auf die Tür. Ohne ein weiteres Wort steht der Junge auf und geht mit ihm hinunter auf die Straße. „Bleib hier einen Moment stehen, ich sage dem Kellner, er soll ein Taxi rufen. Nicht wegrennen, versprichst du mir das?“ Der Junge nickt und di Flavio ist sicher, dass er keinen weiteren Ausreißversuch mehr unternimmt, so dermaßen fertig wie er aussieht. Eher besteht die Gefahr, dass er vor Müdigkeit umfällt. „Lehn dich hier an die Wand, dann ist es einfacher“, rät er ihm. Zwei Minuten später ist er zurück. Ludwig hat sich nicht gerührt. Sein Kopf hängt vornüber, und es fehlt nicht viel, dass er zusammensackt.
Als der Taxifahrer hält, wirft er einen besorgten Blick auf den Jungen. „Nicht, dass er mir meinen Wagen vollkotzt, habe keine Lust, schon wieder eine Grundreinigung einzulegen.“
„Keine Angst, er ist nicht betrunken, er ist nur müde. Bitte zum Haderner Stern.“
„Ihr Wort in Gottes Ohr, sonst müssen Sie die Reinigung bezahlen.“
„Gut, gut.“ Sie bugsieren Ludwig auf den Sitz. Er schlägt die Augen nicht auf. „Julia? Wir sind unterwegs zu dir. Ludwig ist mir eingeschlafen. Ich hoffe, ich kriege ihn wieder wach, wenn wir da sind. Kannst du runter kommen und mir helfen?“
„Was ist mit ihm?“
„Ich glaube, er hat sich etwas übernommen.“
Als der Taxifahrer vor dem U-Bahnhof und an dem Eingang zu einem Einkaufzentrum hält, sagt er: „Haderner Stern, da reinfahren kann ich nicht.“
„Bene, hier Ihr Geld. Sehen Sie, alles ist gutgegangen. Runden Sie auf zwanzig auf.“ Di Flavio reicht dem Fahrer einen Fünfzig-Euro-Schein, wartet, bis er das Rückgeld hat, steckt es ein und rüttelt dann am Arm des Jungen. „Ludwig, wir sind da. Geht es?“ Di Flavio hilft ihm aus dem Fahrzeug.
„Dann noch einen schönen Abend“, meint der Taxler.
Julia eilt besorgt herbei. „Ludwig, was ist los, hast du etwa was getrunken?“
Di Flavio muss lächeln. „Das hat der Taxler auch schon vermutet. Nein, keine Sorge. Komm, Ludwig, stütz dich auf mich.“ Oben in der Wohnung schaut er Julia fragend an. „Wohin?“
„Danke, ick komm schon zurecht.“ Wie ein Automat steuert Ludwig auf eine Tür zu. Di Flavio öffnet sie für ihn. Sie führt in ein kleines Zimmer, das der Junge offensichtlich für die Zeit seines Aufenthaltes okkupiert hat. Er begleitet ihn bis zum Bett. Julia windet ihm die Schuhe von den Füßen und deckt ihn zu. Im nächsten Moment dreht Ludwig sich auf die Seite und driftet weg.
Sie schließen die Tür und schauen sich an. Julia lächelt verlegen. „Ich habe ja keine Kinder, aber jetzt kam es mir fast so vor. Danke. Möchtest du etwas trinken oder essen? Ach nein, ihr ward ja gerade bei Claudia essen. Ich vergaß.“
„Ja, ich glaube, das Essen hat Ludwig den Rest gegeben. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber er hat offensichtlich einen aufregenden Tag hinter sich. Irgendwas läuft da mit dieser Claudia. Er ist jedenfalls bis über beide Ohren in sie verliebt, und sie mag ihn anscheinend auch. Hoffentlich wird es für ihn nicht zu problematisch.“
„Und ich dachte, er ist in Nadine verknallt. Aber die hat ja den Patrick, das hätte mir zu denken geben sollen. Claudia? Sie ist doch zurzeit die wichtigste Person in der ganzen Stadt. Sie und mein Ludwig? Als ich sie im Fernsehen sah, dachte ich, es handelt sich nur um einen Werbegag, nicht mehr. Oje!“
„Ludwig ist kein Kind mehr, sondern ein junger Mann …“
„So wie du damals?“ Julia lächelt, und das Lächeln vertieft die feinen Fältchen um ihre Augen, die ihn ebenfalls anzulächeln scheinen. Sie drückt seine Hand.
„Ein Kaffee wäre nicht schlecht“, sagt er, „und eine Kopfschmerztablette und ein Glas
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