Tatort Oktoberfest (German Edition)
Aktenkoffer in der Hand den Mittelgang entlang und betritt gemessenen Schrittes das Podium. Neben der Moderatorin Anja steht eine blonde, schlanke Frau auf der Empore. Claudia und Ludwig warten etwas abseits unterhalb der Bühne. Claudia flüstert mit der jungen Frau, die vorhin bei der Schenke moderiert hat. Dann wendet sie den Blick zum Geschehen. Ihr Gesicht erscheint ernst und gefasst auf der großen Leinwand.
„Es geht los“, raunt ihm sein Nachbar zu und gibt ihm einen Stups in die Seite. Der Trommelwirbel endet. Der Offizielle legt, bei der Bühne angekommen, den Koffer auf einen bereitstehenden Tisch und öffnet ihn. In rubinroten Samt gebettet, warten drei weiße Kugeln wie ballgroße Diamanten. Er entnimmt eine, schließt den Koffer, übergibt die Kugel der Fernsehansagerin und verlässt mit dem Koffer unter Klatschen des Publikums das Zelt. Die Moderatorin steht mit der Kugel in der erhobenen Hand, bis die Musik endet. „Claudia, Claudia, forza, forza“, skandieren seine Tischnachbarn und sind wie alle anderen auch aufgestanden und auf die Bänke gestiegen. Er erhält einen Stoß in die Rippen. „Avanti.“
„Ich begrüße euch alle zum zweiten Tag des Wettbewerbs, hier, wo sich München und die ganze Welt beim Oktoberfest trifft. Schauen wir, welche Aufgabe unsere Claudia heute erwartet. Seid ihr auch so neugierig wie ich?“ Der Trommelwirbel setzt wieder ein. Sie nestelt, im Bild sieht es etwas ungeschickt aus, mit fahrigen Fingern nervös an dem Verschluss der Kugel. Es ist still geworden. Selbst di Flavio kann die Augen nicht von dem Geschehen abwenden. Endlich öffnet sich der Ball. Ein zum Umschlag gefaltetes Blatt Papier wird sichtbar. Die Lottofee schwenkt den Zettel über ihrem Kopf. Die Kapelle intoniert einen Tusch. Sie tritt nach vorn, lächelt, winkt Claudia zu sich. Claudia steht auf und stöckelt langsam die Stufen hoch, bis sie oben auf der Bühne die Lottofee erreicht. Händeschütteln, Applaus. Wieder Stille.
„Liebe Claudia, deine Aufgabe heute ist …“ Ihr Blick senkt sich auf den Zettel. Claudia rollt mit den Augen, so als wollte sie sagen: „Komm schon, mach’s nicht so spannend“ und tritt von einem Bein auf das andere. „Ist … Doch sagen wir doch erst einmal wo statt was. Dein Einsatz wird beim Toboggan sein. Die Münchner wissen alle, was der Toboggan ist, oder? Natürlich. Die fast achtzig Jahre alte Turmrutschbahn gleich beim Eingang der Wiesn, wenn man von der Mozartstraße und vom U-Bahnhof Goetheplatz herkommt. Der Toboggan hat seinen Platz immer an der gleichen Stelle, rechter Hand. Der Name Toboggan bedeutet Schneeschlitten und stammt aus der Sprache der kanadischen Algonkin-Indianer. Der Witz bei der Sache ist, bevor man runterrutschen darf, geht’s erst mittels Förderband nauf. Da muss man standfest sein und die Balance halten können. Es ist besser, man hat nicht allzu viele Maß intus. Natürlich kann man auch nur unten stehen und zuschauen, wie die Burschen und Madl sich abmühen – und sie mühen sich ab.“
Claudia lächelt während diesen Erläuterungen, zieht nur ab und an die Brauen hoch und zuckt mit den Schultern, um zu bedeuten, dass sie noch nicht weiß, ob sie da hoch soll, oder was sie sonst mit ihr vorhaben.
„So, nachdem jetzt auch unsere Zugereisten, bayrisch Zuagroasten, merken’s sich des, wissen, was Sache ist, kommen wir … Nicht so ungeduldig da hinten. Ich verrate sie schon, die Aufgabe für unsere Claudia. Also: Du wirst den Leuten helfen, sicher nauf zu kommen und sie bittschön bitten, dir etwas zu überlassen. Oan Huad, oan Strumpfbandl, oan Gürtel, was auch immer. Das ganze Graffe versteigerst meistbietend. Alle, auch ihr zu Hause, könnt mitbieten. Der Erlös kommt einem guten Zweck zugute. Schauen wir, ob es Claudia gelingt, die Summe, die ihr Konkurrent gestern einfuhr, zu überbieten – die Krebshilfe wird sich freuen. Übrigens Applaus für Martin Ochshammer, der gerade bei uns eingetroffen ist. Er hat sich in der Ochsenbraterei super geschlagen.“ Alle klatschen. „Wir blenden uns jetzt für zehn Minuten aus, in denen unsere Zuschauer zu Hause mit Wiesn-Hits und auch ein wenig Werbung unterhalten werden. Für euch spielen weiter die ‚Ingolstädter Biermösln‘ auf. Noch viel Spaß, wir sehen uns gleich vor dem Toboggan.“
Claudia und die blonde Frau verlassen, sich unterhaltend, die Bühne. Ludwig erhebt sich von seinem Platz, als sie den Tisch erreichen. Claudia drückt ihn wieder auf den Sitz und redet
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