Tatort Oktoberfest (German Edition)
ihr, ahnt nichts von ihrem inneren Kampf. Er schaut aus dem Fenster. Ab und an kommt ein „geil“, „krass“ oder „voll fett“ aus seinem Mund.
Warum treffen sie Julias Worte derartig? Sie wagt kaum, es sich einzugestehen. Noch ist alles viel zu neu und zu unausgegoren. Weil sie sich insgeheim bereits vorgestellt hat, mit diesem Jungen eine Beziehung einzugehen? Und ihre einzige Sorge bislang nur dem eklatanten Altersunterschied galt? In allen Details hat sie sich ausgemalt, wie es sich anfühlen wird, wenn Ludwig, gerade mal fünfunddreißig geworden, mit ihr ihren fünfzigsten Geburtstag feiert. Sich gequält mit den Ängsten, die nicht einfach vom Tisch zu wischen sind. Wann genau entschied sie eigentlich, zart und unbewusst, dass die Altersdifferenz bedeutungslos sein wird, weil sie sich mögen?
So lange kennt sie Ludwig doch noch gar nicht. Sie wundert sich jetzt, wie schnell es ihr gelang, die Zweifel fortzuschieben. Sogar von Kindern, die ihr Band zusammenschweißen, träumte sie bereits und malte sich eine gemeinsame Zeit aus. Welch Illusionen! Wie konnte sie nur dermaßen verstiegen sein und erwägen, mit diesem Jungen, der selbst noch ein Kind ist, Kinder großzuziehen? Sie musste verrückt sein.
Als die Autobahn endet und in die relativ gut befahrene Bundesstraße Richtung Garmisch mündet, ordnet sich Claudia in den Autostrom ein und schwimmt auf ihm bis zur Abzweigung nach Oberammergau mit. Dann kurvt sie, wie noch eine Reihe anderer Pkw, die Kehren hinauf. „Wir erreichen bald Kloster Ettal. Hast du Lust auf einen Kaffee? Oder, wenn es dir lieber ist, auch eine Cola. Kennst du das Kloster?“
„Hört sich gut an.“
„Na, dann komm“, fordert sie Ludwig auf, steigt aus dem Auto und wartet auf ihn. Sie nimmt ihn bei der Hand. Schüchtern lässt er sich von ihr führen, und sie merkt, dass ihre Gefühle für ihn ihrer Vernunft keine Chance geben. Kurz bevor sie in die Wirtschaft gehen, drückt er ihr schüchtern ein Küsschen auf die Wange, um sofort wieder unsicher abzurücken und abzuwarten, wie sie darauf reagiert. In ihr schwingt Liebe, Zärtlichkeit, Bedauern, Mitgefühl und auch Begehren. Die Flut überschwemmt sie. Sie umarmt ihn, löst sich dann und zwinkert ihm zu. Er strahlt als würde die Sonne, die sich gerade hinter einer Wolke versteckt, für ihn durch das Grau scheinen. „Pass auf, Ludwig, wenn wir mit dem Fernsehen fertig sind, fahren wir an den Walchensee. Ich zeige dir meine Lieblingsplätze“, verkündet sie überschwänglich. „Dort ruhen wir uns ein Weilchen aus, bevor wir in die Stadt zurückfahren. Doch erst müssen wir arbeiten, du ebenso wie ich. Capito, verstanden?“
„Geht in Ordnung, Chefin.“ Mit einem frechen Grinsen salutiert er. „Ick hab Sehnsucht nach dir, Claudia.“
„Ich auch.“
Während der kurzen Strecke nach Schloss Linderhof verbindet sie ein stilles Lächeln. Ab und zu zwinkern sie sich gegenseitig liebevoll zu.
Vor dem Schloss in der Nähe des Brunnens baut die Fernsehcrew bereits Tische auf. Die Schlosstreppe ist geschickt in die Installation einbezogen. Der Wagen ihres Restaurants wartet ein Stück abseits in einer Auffahrt. Eine hektische Betriebsamkeit herrscht. „Endlich, Claudia. Wir müssen uns beeilen. Auf welcher Seite sollen wir den Herd postieren? Die Schalen mit dem Gemüse wieder nach rechts? Oder kommen sie links besser?“ überfällt sie die Regisseurin und wieselt mit ihrer Assistentin zusammen um Claudia herum.
„Immer mit der Ruhe, no problemo, ich schau gleich.“
„Ihre Gesprächspartnerin, Frau Immerschön, wartet schon in der Maske.“ Sie zeigt auf das Pförtnerhäuschen. „Wo ist jetzt unser Ludwig? Haben Sie ihn mitgebracht? Ah, da ist der Junge ja. Er soll sich schnell umziehen und gleich mit in die Maske gehen.“
Auf den Wangen der Regisseurin leuchten hektische Flecken. Fahriger als sonst weicht sie Claudias Blick aus. Sie hat irgendetwas. Sind meine Gefühle für Ludwig so sichtbar, dass es ihr unangenehm ist? Oder bilde ich mir etwas ein? Claudia fällt ein, dass mindestens einmal bei jeder Sendung alles aus dem Ruder zu laufen scheint und nichts klappen will. Meist beruhigt sich das Tohuwabohu bald, und alle finden ihren Platz. Wichtig ist, selbst ruhig zu bleiben.
Sie winkt Ludwig zu sich, der völlig gebannt und versunken umherschlendert. „Affenmegageil. Kann ick mir det Schloss nachher genauer reinziehen? Ick bin nämlich informiert, weeß ne Menge, hab allet im Netz
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