Tatort Oktoberfest (German Edition)
noch Farbe ins Gesicht schmieren. Automatisch wählen ihre Finger die Nummer ihres Vaters. Sie weiß, sein Lokal ist heute ebenso wie ihres geschlossen. Hoffentlich ist er zu Hause. „Papa? Ich bin es, Claudia. Come stai, bene?“
„Cosi, cosi, ich habe gestern die Sendung gesehen. E tu, come stai?“
„Sì, sto bene, grazie. Gestern …“ Er unterbricht sie. „Bella, mach Schluss mit der Oktoberfestgeschichte. Die Manipulation an der Bierleitung gestern, das war eine Warnung. Bitte, denke an Luigi, ich will nicht …“
„Woher weißt du …, hast du deine Spione überall? Aber ja, Papa, ich weiß, du willst nicht, dass mir etwas passiert. Ich passe schon auf. In der anderen Sache, die Beziehung, die … Nun, ich habe mir deinen Rat zu Herzen genommen. Die Beziehung ist zu Ende. Du kannst dich freuen. Vielleicht beginne ich jetzt ein normales Leben, so wie du es dir vorstellst, mit Kindern und …“
„Cara mia, das wäre schön. Aber vorher sei auf der Hut, und ich kann es nicht oft genug sagen, beende diesen Wiesn-Unsinn! Ich bitte dich eindringlich.“
„Ach Papa, deine ewige Schwarzseherei. Ciao, ciao.“
Sie wählt die Nummer der Regisseurin. „Hier Claudia, ich habe da so eine Idee. Wenn Ludwig, mein Held von gestern, heute mit von der Partie wäre, würde die Veranstaltung noch runder wirken. Was meinen Sie? Umsonst kriegen wir ihn allerdings nicht, aber ich verspreche Ihnen, dass ich einen guten Preis aushandeln werde.“
„Unser Budget für die Sendung ist absolut begrenzt, Claudia. Ich möchte Sie nicht enttäuschen, aber ich sollte erst mit meinem Chef sprechen. Lediglich bis dreihundert Euro könnte ich selbst entscheiden. Das wäre drin. Meinen Sie, Sie bekommen das hin?“
Sie versucht Ludwigs Handyanschluss. Er hebt nicht ab. Also wählt sie Julias Nummer. „Hallo Julia, guten Tag. Wir drehen meine Kochshow in Linderhof. Unsere Regisseurin meinte, Ludwig würde geradezu phänomenal in die Szenerie passen. Mich begeistert die Idee ebenfalls. Er kann außerdem dreihundert Euro verdienen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mitkommen könnten.“
„Ich werde Ludwig fragen, Claudia. Bei mir klappt es leider nicht. Der Junge ist im Augenblick im Internetcafé. Aber vorher möchte ich Ihnen noch einiges erklären.
Claudia hört sich Julias Worte ruhig an, ihre Knie zittern ein wenig, und sie muss sich setzen. Am Schluss presst sie heraus: „Ludwig ist ein lieber Kerl, ich mag ihn sehr. Danke für Ihre Offenheit.“ Nachdenklich legt Claudia auf.
Kurze Zeit später schellt das Telefon.
„Claudia, ick will gerne mit nach Linderhof.“
„Schön, Ludwig. Kannst du deine Uniform besorgen und zu mir kommen?“ Sie lächelt, obwohl sie sich eingesteht, dass sie nicht weiß, welcher Teufel sie reitet und was sie eigentlich erwartet. Oder doch?
Bei der Autobahnabfahrt nach Murnau öffnet sich die Sicht auf das Alpenpanorama. Rechter Hand kommt die Rückseite des Hörnle bei Kohlgrub ins Sichtfeld und linker Hand der Herzogstand. Dahinter liegt, eingefasst von Bergen, grün schimmernd und naturbelassen wie ein Smaragd, der Walchensee. In sehr heißen Sommern lädt er zum Baden ein, ansonsten zum Windsurfen und Wandern. „Magst einen Seeblickgipfel besteigen?“ fragte ihre Mutter sie als Kind oft und packte den Rucksack. Sie nickte freudig, sie wusste, es ging zum Jochberg, zur Jocher Alm oder zum Herzogstand, und nach dem Wandern würden sie baden gehen, wenn nicht im Walchensee, dann im halb so großen Kochelsee – der war wärmer. Dann war da noch das Trimini-Wellenbad, falls auch der Kochelsee noch nicht über Badetemperatur verfügte. Oder sie fuhren über die Jachenau und kehrten in einem einfachen Landgasthof ein und aßen Kässpatzen. Ein wenig Wehmut zieht in ihr Herz. Sie möchte Ludwig von allem erzählen, doch sie schweigt. Sicher würde ihm das Walchensee-Kraftwerk imponieren. Es erzeugt Strom, indem es das natürliche Gefälle zwischen dem Walchen- und dem Kochelsee nutzt. Oder das Freilichtmuseum Glentleiten, in dem historische Bauernhöfe und Bauernhäuser aus verschiedenen Landesteilen zusammengetragen wurden. Ob er, wie sie, den Geruch des etwas modrigen Holzes mag, der in den alten Stuben und Kammern nistet? Oder ob er nur wieder schnoddrig bemerken würde, dass die Menschen früher kleiner waren, weil die Betten so winzig sind?
Julias Worte kreisen wie Drohnen und überziehen ihre hochgestimmten Gedanken mit einem Grauschleier. Ludwig sitzt, ebenfalls schweigsam, neben
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