Tatort Oktoberfest (German Edition)
Sie eilen auf ihn zu, als wäre er der ersehnte Heiland, der neugeboren ihre Seele retten kann.
Unisono flöten sie: „Schön Sie zu sehen, Herr Ochshammer! Wir warten schon auf Sie.“ Die Begrüßung zwitschert in seinen Ohren wie Vogelgesang. Ihre rosig frischen Lippen lächeln, als würde ihnen dafür ein Preis verliehen. Sie flattern vor ihm her, um ihn dann drei Türen weiter in einen Raum zu schieben und ihn bei einer leider nicht annähernd so knackigen Endvierzigerin, gehüllt in tragisch schwarze Stofffetzen und offenbar für die Regie verantwortlich, abzuliefern.
„Roselei, aber Sie können wie alle Rose zu mir sagen“, flötet sie zuckersüß, und ihre Stimmlage schafft locker die Verbindung zu den beiden Rosen, die ihn herbegleitet haben. „Zuerst in die Maske, Herr Ochshammer.“
In der Maske erwartet ihn ein jüngerer Mann, welche Entspannung! Allerdings tänzelt der Typ um ihn herum, als wäre er eine Schaufensterpuppe, und zu allem streicht er fast verliebt über sein Haar, als würde Ochshammer nur aus diesem bestehen. „Mein Gottchen, was haben Sie für eine herrliche Pracht auf dem Kopf, mein Lieber“, flötet er. Offensichtlich ist der Mann mehr Frau als die anderen drei zusammen. Ochshammer lehnt sich zurück. Glücklicherweise bringt diese Art des Frauseins seine Männlichkeit nicht in Wallung, und er entspannt sich unter den zugegebenermaßen geschickten Händen des Maskenbildners. „Fertig.“ Als er die Augen öffnet, findet er sich im Spiegel ganz passabel. Die vollen Haare voller, die runden Wangen weniger rund, das eckige Kinn markanter. Nur ist es nicht gelungen, seinen Hals in den eines Schwans zu verwandeln.
Die Regiedame flattert wie eine unruhige Krähe auf ihn zu. „Wir fangen mit Ihrer Kindheit, Ihren Eltern an, dann gehen wir zum Beginn Ihrer Karriere. Später schneiden wir Bilder dazu ein. Sie brauchen nur zu antworten. Ich entscheide, wie wir das mixen. Keine Angst.“
Während dieser Zeit läutet Kopitzkis Handy. Er drückt auf den Knopf der Freisprechanlage. „Ja, Frau Rezzo.“
„Diese Schlampe, endlich bekommt sie Gegenwind. Sorgen Sie dafür, dass sie in ihrem Morast verschwindet, sonst muss ich selbst …“
„Frau Rezzo, Sie sollten in den Schoß Ihrer Familie zurückkehren. Bitte.“ Doch seine Bitte dringt nicht mehr durch, Frau Rezzo hat bereits aufgelegt. Kopitzki schüttelt einen Moment lang ratlos seinen Kopf. Soll er etwas unternehmen? Sie wirkt derart kopflos, dass sie eine Gefahr für das Projekt bedeuten könnte. Aber ist das seine Aufgabe, sich da einzumischen? Sie wird sich wieder einkriegen, bestimmt kommen die Familienmitglieder zur Beerdigung, wenn die Leiche freigegeben wird. Er schiebt die Gedanken beiseite und schaltet das Radio lauter, bis er endlich die Durchsage hört, auf die er gewartet hat.
„Aus noch ungeklärter Ursache, man vermutet einen Geisterfahrer, kam es auf der A99 zu einem schweren Unfall. Ein Laster der Firma Ochshammer kam in Höhe der Anschlussstelle Erding von der Fahrbahn ab, streifte die Leitplanke und durchbrach sie. Der Fahrer musste schwerverletzt in das Kreiskrankenhaus Erding gebracht werden. Am Fahrzeug entstand ein Totalschaden. Die Ladung, Wurst und Fleischwaren für das Oktoberfest, verteilte sich auf der Fahrbahn. Die Autobahn wurde gesperrt. Die Polizei leitet den Verkehr um.“
Claudia schleudert den Zeitungsberg in die Ecke und richtet sich auf. Sie wird sich doch nicht von ein paar solcher Schmierfinken den Schneid abkaufen lassen. Es ist eine Sache, dass sie selbst sich für das Aufgeben des Wettbewerbs und damit gegen eine Kandidatur entschieden hat, aber nur weil sie in der Presse abgewatscht wird? Nein. Sicher bekommt sie Bauchdrücken bei dem Gedanken, dass die ’Ndrangheta letztlich über sie eine Schuld ihres Vaters einfordern könnte. Sie wird schon einen Weg finden, dies zu umgehen. Luigis Tod schießt ihr in den Kopf. Sind diese Leute denn wirklich zu allem fähig? Irgendwie hat sie das Gerede über die Macht der Mafia oder der ’Ndrangheta immer für etwas gehalten, das auf einem anderen Stern, in einer anderen Gesellschaft, in einer anderen Umgebung passiert. Doch jetzt? Ein Menschenleben weniger, wegen eines geschäftlichen Wettbewerbs? In welcher Welt lebt sie eigentlich? Sie schüttelt den Kopf.
Nein, Erfolg um jeden Preis, das ist nicht ihr Ding. Es gibt Wichtigeres als Ruhm im Leben, und diese Tatsache ist ihr in den letzten Tagen bewusst geworden. Für das Kochen mit
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