Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
Segeltuchfabrik erblickte, in dem sein Lehrer einen Übungsraum gemietet hatte. Und was für ein Lehrer das war! Lars Sunde war 28 und auf ganz natürliche Weise so entspannt, dass er es nicht nötig hatte, sich cool zu geben. Seine kurz geschorenen dunklen Haare sowie sein schmaler, fast zierlicher Körperbau verliehen ihm etwas Asketisches, doch seine Augen waren ebenso warm und freundlich wie seine Stimme. In der ersten Stunde hatte er Lukas jede Menge private Dinge gefragt: wie lange sie schon in Oslo seien, wie es Lukas gefiele, ob er schon neue Freunde gefunden habe, was seine Lieblingsmusik sei und so weiter. Lars schien sich wirklich für ihn zu interessieren. Danach zeigte ihm Lukas die Stücke, die er zuletzt in München nach zweieinhalb Jahren Unterricht gespielt hatte: »The Girl From Ipanema«, »As Time Goes By«, »Let It Be«.
In den letzten Tagen hatte er ausschließlich »The Girl From Ipanema« geübt, damit er irgendetwas vorspielen konnte, ohne sich völlig zu blamieren. Nachdem er sich mehr schlecht als recht durch die ersten Takte gekämpft hatte, setzte sich Lars ans Klavier und schlug ein paar Akkorde an – und siehe da, mit einem Mal war alles wie verwandelt. Ganz gleich, wie sehr Lukas mit seiner Atmung kämpfte, ganz gleich, wie unbeholfen es aus seinem Horn quäkte, grunzte und quietschte – Lars glich mit Zauberhänden jede Unzulänglichkeit aus, verlieh dem Bossa-Nova-Klassiker Rhythmus und Struktur. Lukas konnte kaum glauben, was er da hörte. Ihre Töne vereinten sich, flogen zur Decke empor und breiteten sich mit ungeheurer Intensität im ganzen Raum aus. Es war wie ein glücklicher Schock. Nie zuvor hatte Lukas erlebt, dass Musik, die er selbst hervorbrachte, seinen ganzen Körper ausfüllte. Am liebsten hätte er die Augen geschlossen, doch leider musste er ja die Noten lesen. Nachdem sie das Stück zweimal komplett durchgespielt hatten, hämmerte Lars einen Schlussakkord in die Tasten, der noch eine Zeit lang durch den Raum schwebte.
»Klappt doch schon super!«, rief er begeistert. »Ich glaube, wir werden viel Spaß miteinander haben, Lukas.«
Lukas atmete tief durch und wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte ja schlecht Jippie! schreien oder seinem neuen Saxofonlehrer um den Hals fallen, auch wenn ihm danach zumute war. Als sie sich schließlich voneinander verabschiedeten, hatte Lukas fast das Gefühl, einen neuen Freund gefunden zu haben.
Kapitel 18
Wie hatten sie nur glauben können, das Problem Leif würde sich von allein lösen? Der Typ war einfach nicht abzuschütteln. Hatte sich festgesetzt wie ein fieser Bazillus, gegen den es keine Medizin gab. Hatte sich in ihr Leben gedrängt, machte sich in ihrer Wohnung breit, nahm ihnen wertvollen Sauerstoff, futterte ihnen ungeniert die Schokolade weg und was der Unverschämtheiten mehr waren. Saßen sie gemeinsam vor dem Fernseher, riss er inzwischen sogar die Fernbedienung an sich – ein sicheres Zeichen dafür, dass diesem Störenfried dringend Einhalt geboten werden musste.
Manchmal unternahmen sie jetzt etwas zu viert miteinander, wobei ihre Mutter sehr darauf bedacht war, die gemeinsame Zeit so zu gestalten, dass sie nicht kochen musste. Vor ein paar Tagen hatten sie sich im Kino Fluch der Karibik 4 angeschaut und waren danach bei McDonalds gelandet, weil Leifs Bauch schon während der Vorstellung penetrant geknurrt hatte. Als sie dann im Fast-Food-Restaurant vor der Kasse standen, war rein zufällig mal wieder Ebbe in seinem Portemonnaie, sodass ihre Mutter die ganze Chose bezahlt hatte. Natürlich hatte Leif auch nicht angeboten, mal schnell zum nächsten Geldautomaten zu traben. Der lag nämlich mindestens zwei Minuten entfernt, da hätte der Ärmste glatt um die Ecke gehen müssen, und das im Nieselregen!
Was anschließend auf seinem Tablett und binnen Minuten in seinem Bauch landete, hatte ihnen schier die Sprache verschlagen. Nur ihre Mutter schien sich nicht im Geringsten daran zu stören.
Lukas und Franziska hatten Leifs XXL -Menü zu Hause schriftlich festgehalten. Sie wussten selbst nicht, warum. Vielleicht konnten sie den Zettel später mal einem Anwalt übergeben, als Beweis dafür, wie schamlos ihre Mutter ausgenutzt wurde.
»Hast du alles?«, fragte Franziska.
Lukas las vor: »Große Cola light, neun Chicken McNuggets mit Curry- und Barbecuesauce …«
»Süßsauer«, korrigierte Franziska. »Jetzt weiß ich’s wieder, er hatte Curry und süßsauer.«
»Ist das so wichtig?«
»Wenn
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