Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
Schiebetür, die sich über die gesamte Länge der Terrasse erstreckte. Während Petter seine Taschenlampe auf das Schloss richtete, blickte er über die Schulter hinweg auf Oslos funkelndes Lichtermeer, das sich tief unter ihnen wie ein mit Sternen übersäter Kosmos ausbreitete. Zwischen den Lichtpunkten waberten seidige Nebelschwaden. Der Anblick war so atemberaubend, dass es Petter einen Stich versetzte. Wenn er doch nur in dieses Meer aus Licht eintauchen könnte, um für immer darin zu verschwinden. Dem Brontosaurus war glücklicherweise die Sicht auf ihr Tun versperrt, doch der Schein der beleuchteten Schanze erhellte den Himmel über dem Dachfirst.
»Konzentrier dich, Mensch!«, zischte Morten, weil Petter die Taschenlampe schief hielt. Minutenlang machte er sich an dem Schloss zu schaffen, versuchte es mit den verschiedensten Sperrhaken, doch ohne Erfolg. Schließlich verlor er die Geduld, riss die Werkzeugtasche auf und holte das Brecheisen heraus. Er presste das flache Ende zwischen Tür und Zarge, umfasste den Griff mit beiden Händen und drückte mit aller Kraft. Die Tür knirschte. Die Scheibe zitterte.
»Verdammte Scheiße!« Morten fluchte durch zusammengebissene Zähne. Er ließ das Eisen los, das im Spalt stecken blieb, und stützte keuchend die Hände auf die Oberschenkel. Dann packte er das Eisen erneut und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Ein unterdrücktes Ächzen stieg aus seiner Kehle, das Petter wie der Laut eines gequälten Tieres vorkam. Splitternde Holzspäne flogen über die Veranda, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Knacken. Dann glitt die Tür endlich zur Seite.
Das Knacken war Petter durch Mark und Bein gegangen. Es schien so laut gewesen zu sein, dass es über den ganzen Holmenkollen geschallt haben musste. Auch Morten richtete sich auf und lauschte angestrengt. Doch nur der leise Wind in den Bäumen und das ferne Rauschen des Verkehrs waren zu hören.
»Sollen wir nicht lieber abhauen?«, flüsterte Petter.
Morten warf ihm einen verächtlichen Blick zu und trat ein.
Im Haus war es stockdunkel. Schritt für Schritt tasteten sie sich vorwärts. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen wanderten durch den Raum, erfassten einen Flachbildfernseher sowie eine Hi-Fi-Anlage von Bang & Olufsen, die beide an der Wand hingen. Sie schlichen weiter, sondierten die Lage. Kamen in die Küche, in der fast alles aus blitzendem Edelstahl war, inklusive des monströsen Kühlschranks mit Eiswürfelspender und integriertem Monitor.
Morten pfiff leise durch die Zähne.
»Die können fernsehen, während sie ihre Drinks mixen«, murmelte Petter kopfschüttelnd.
»Keine Zeit zu verlieren«, mahnte Morten. »Wir fangen im Wohnzimmer …«
»Hallo … ist da jemand?«
Sie erstarrten in der Bewegung. Es war die hohe, zittrige Stimme einer alten Frau, die von der Terrasse zu ihnen herüberdrang. Petter fühlte den Boden unter sich schwanken. Morten bedeutete ihm, ja keinen Mucks von sich zu geben.
Sie schlichen zur Wohnzimmertür und spähten um die Ecke. In der offenen Schiebetür zeichnete sich die Silhouette einer kleinen, zierlichen Frau ab, die unschlüssig stehen geblieben war. Ihr silbriges Haar glänzte im Mondlicht. Schräg hinter ihr, auf den Holzplanken, stand die Tasche mit den Einbruchwerkzeugen.
»Hallo?«, wiederholte die Frau mit wackliger Stimme. »Ist jemand zu Hause?«
Sie trat einen Schritt vor und tastete mit unsicherer Hand nach dem Lichtschalter. Als die Deckenscheinwerfer aufflammten und das Wohnzimmer in gleißend helles Licht tauchten, verlor Petter die Besinnung. Hals über Kopf stürmte er auf die weißhaarige Frau zu, deren schreckgeweitete Augen hinter den dicken Brillengläsern riesengroß aussahen. Er rannte an ihr vorbei und sprang mit einem Satz von der Veranda herunter. Nichts wie weg hier – das war alles, was er im Sinn hatte. Hinter sich hörte er Mortens trampelnde Schritte und fuhr herum. Das Gesicht seines Kompagnons war wutverzerrt, als er auftauchte. Die alte Frau war auf die Terrasse zurückgewichen, konnte aber nicht verhindern, dass Morten ihr im Vorbeilaufen seinen Ellbogen in die Seite rammte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, ruderte mit den Armen und stürzte rückwärts die Stufen hinunter. Ihre Hand, die nach Halt suchte, griff ins Leere. Petter sah, dass sich ihr Wollrock wie in Zeitlupe bauschte, als sie für einen Augenblick in der Luft zu schweben schien. Dann prallte sie mit dem
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