Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
Hinterkopf gegen einen der schroffen Felsbrocken, die im Halbkreis ein verwaistes Blumenbeet einfassten, und blieb reglos liegen. Ein Bein stand in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab.
Die Zeit hielt den Atem an.
Petter, dem das Blut in den Ohren pochte, schlurfte wie in Trance auf sie zu. Fast wäre er auf die Brille getreten, die etwa einen Meter von ihr entfernt auf der nackten Erde lag. Ihr Blick war starr in den Himmel gerichtet, aus dem sich in diesem Moment die ersten Flocken lösten. Lautlos segelten sie durch die Luft, ließen sich zart auf ihrer faltigen Haut nieder und schmolzen dort.
Der gefrorene Boden war schon bald von einer pudrigen weißen Schicht bedeckt. Nur das Rinnsaal, das aus dem Hinterkopf der alten Frau sickerte, zog eine feine rote Spur durch den Schnee.
✶ ✶ ✶
Schweigend fuhren sie durch die Nacht. Petter wusste, dass sie ihre Werkzeugtasche auf der Veranda vergessen hatten, traute sich aber nicht, es zu sagen. Vielleicht hatte Morten es auch bemerkt, vielleicht nicht.
Mortens Wangenmuskeln waren verhärtet, seine Hände krampften sich um das Lenkrad. An seinem Hals pulsierte eine Ader. Er schien unter Hochdruck zu stehen und jederzeit explodieren zu können. Doch dann sagte er mit erstaunlich beherrschter Stimme: »Hättest die Alte eben nicht schubsen dürfen!«
»Ich???« Petters Stimme überschlug sich fast. » Du hast sie doch …«
»Jetzt hast du einen Menschen auf dem Gewissen«, fuhr Morten kaltblütig fort. »Ich möchte nicht in deiner Haut stecken.«
Kapitel 21
Franziska hatte es sich nicht nehmen lassen, Leif höchstpersönlich zum Schulfest einzuladen. Leif war natürlich überrascht und fast ein wenig gerührt gewesen, obwohl er sich fragte, ob sich hinter ihren freundlichen Worten nicht blanke Ironie verbarg. Die spitzen Bemerkungen, die sie in seiner Gegenwart stets auf Lager hatte, verunsicherten ihn zusehends.
»Das solltest du dir nicht entgehen lassen, Leif«, hatte sie zu ihm gesagt und augenzwinkernd hinzugefügt: »Da gibt’s jede Menge zu essen für wenig Geld.«
Claudia war überglücklich, wertete sie die Einladung doch als unmissverständliches Zeichen, dass ihre Tochter allmählich bereit war, Leif zu akzeptieren. »Du musst ihr nur genug Zeit geben«, sagte sie zu ihm. »Franziska kann eine ziemliche Kratzbürste sein, aber im Grunde hat sie ein weiches Herz.«
»Ich weiß einfach nie, woran ich bei ihr bin«, beklagte er sich. »Mit Lukas komme ich bestens klar, aber Franziska …« Er stieß hörbar die Luft aus und schüttelte ratlos den Kopf. »Wenn sie mich mit ihren dunklen Augen anstarrt, denke ich immer, sie würde mich am liebsten zum Mond schießen.«
»Das bildest du dir nur ein«, beschwichtigte Claudia.
»Ich glaube, sie findet wirklich nichts Gutes an mir.«
»Jetzt übertreibst du.«
»Und meine Klamotten scheinen ihr auch nicht zu gefallen.«
»Manche Kinder mögen es eben nicht, wenn sich Erwachsene jugendlicher kleiden als sie selbst.«
»Ich zieh mich ja wohl nicht an wie ein Zehnjähriger!«, protestierte er.
Claudia lachte übermütig. »Jedenfalls hat ein Zehnjähriger nicht so viele Haare auf der Brust.« Sie strich zärtlich über sein Jeanshemd. »Aber ich mag deinen Look.«
»Könnte es sein, dass du mich auf den Arm nimmst?«
»Könnte es sein, dass du heute ein bisschen empfindlich bist?«
Ihre kleine Kabbelei endete damit, dass Leif für den Rest des Tages eingeschnappt war und ankündigte, sich beim morgigen Schulfest, das wie immer am letzten Samstag vor den Weihnachtsferien stattfand, so richtig in Schale zu werfen. »Damit ich dir nicht peinlich bin«, fügte er gekränkt hinzu.
✶ ✶ ✶
Die große Eingangshalle der Elisenbergschule war festlich geschmückt. Neben der Treppe zum ersten Stock stand ein prachtvoller Weihnachtsbaum, der mit Lichterketten, roten Kugeln und kleinen norwegischen Flaggen dekoriert war, die sich in langen Bahnen von der Spitze nach unten zogen. Überall summte und schwirrte es wie in einem riesigen Bienenstock. Schüler, Lehrer und Angehörige standen in Grüppchen zusammen oder drängten sich laut schnatternd, mit Getränkebechern und Kuchentellern beladen, durch die schmalen Gänge. Die Garderobenhaken waren unter Bergen von Taschen, Jacken und Mützen begraben.
Franziska und Alexander standen in der Aula hinter ihren dampfenden Waffeleisen und backten, was das Zeug hielt. Den Teig hatten sie bei Ohlsens am Fredriksborgveien zusammengerührt und sich von
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