Tatsache Evolution
gelegt. Steno war vermutlich der erste unabhäniger Denker, der erahnte, dass die Erde eine
Entwicklungsgeschichte
durchlaufen hatte. Die kritische Frage bezüglich einer wörtlichen Bibelauslegung konnte der fromme Naturforscher geschickt umgehen.
Der Mönch Steno war vom lutherischen zum katholischen Glauben übergetreten. Wegen seines stetig wachsenden Ruhmes wurde daher anlässlich des 300. Geburtstages von Steno (1938) ein erster Versuch unternommen, den Katholiken heiligzusprechen . Nachdem er 1953 wieder bestattet wurde, prüfte eine kirchliche Kommission 20 Jahre lang Zeugenaussagen zu möglichen »Wundern« und »Heilungen« durch Stenos Fürbitten . Nachdem 1974 ein Bericht veröffentlicht wurde, dauerte es weitere zehn Jahre: Die Fachleute konnten leider nur ein einziges »Steno-Wunder« bestätigen (angebliche Spontanheilung eines Krebskranken durch Gebete). Dies genügte nur für eine »Seligsprechung«, nicht jedoch zur posthumen Promotion in den Rang eines katholischen »Heiligen«. Am 23.10.1988 wurden dann von Papst Johannes Paul II. Nicolaus Stenos wissenschaftliche Arbeiten und sein »heiligmäßiges« Leben gewürdigt – die Seligsprechung war damit vollzogen. Erstaunlicherweise erfolgte diese späte »Ehrung« des Erst-Vermuters (genauer gesagt : Erahners) der dynamischen Erde exakt am selben Datum, zu dem der »erste Schöpfungstag« durch Bischof Ussher festgelegt war (ein 23. Oktober, s. Cutler 2003). Bei 364 alternativen Tagen des Jahres 1988 hat hier wieder einmal der
Zufall
ein erstaunliches Resultat herbeigeführt (s. Kapitel 2).
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|197| Charles Darwins paläontologische Probleme
Obwohl der Mönch und Naturforscher Nicolaus Steno die klassische Geologie mitbegründet hatte, war man zu Lebzeiten des Gelehrten von den modernen Erdwissenschaften (
Earth
Sciences
) noch weit entfernt. Die Paläontologie wurde, nachdem Georg Bauer (genannt Agricola, 1494 –1555) den Begriff »Fossil« (Versteinerung) geprägt hatte, u. a. von dem bereits in Kapitel 3 vorgestellten französischen Naturforscher Georges Cuvier (1769 – 1832) mitbegründet.
Um die Etablierung der aus der klassischen Versteinerungskunde hervorgegangenen Wissenschaftsdisziplin der
Paläobiologie
nachvollziehen zu können, wollen wir in diesem Abschnitt auf Darwins Probleme bezüglich der Paläontologie seiner Zeit zu sprechen kommen. Die Kapitel X und XI in Darwins Artenbuch (1859/1872) sind weitgehend dieser Thematik gewidmet: Sie tragen die Überschriften »On the Imperfection of the Geological Record« (»Über die Lücken in den Fossilreihen«) und »On the Geological Succession of Organic Beings« (»Über die geologische Abfolge fossil erhaltener Organismen«). In diesen Kapiteln listet der selbstkritische Naturforscher alle offenen Probleme und Einwände aus der Paläontologie, die gegen seine Deszendenztheorie erhoben werden könnten, auf. Darwin behandelt die »Nicht-Perfektion« (Lückenhaftigkeit) der Fossilfunde , das »plötzliche« Auftreten gewisser Fossilien, insbesondere zu Beginn des Kambriums, die damals noch weitgehend fehlenden Zwischenformen sowie die Tatsache, dass um 1870 noch keine eindeutigen präkambrischen Lebensspuren entdeckt waren. Darwins »Dilemma« bezüglich des Erdalters wird ebenfalls in diesen Abschnitten thematisiert (s. Kapitel 6).
Am Ende gelangt Darwin dennoch zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung: »… All the chief laws of palaeontology plainly proclaim … that species have been produced by ordinary generation: old forms have been supplanted by new and improved forms of life, the products of Variation and Survival of the Fittest« (Darwin 1859/1872). Dieses Schlüsselzitat kann wie folgt übersetzt werden: »Alle Grundgesetze der Paläontologie zeigen eindeutig an, … dass die Arten über Generationenfolgen |199| produziert worden sind. Ältere Lebensformen wurden durch neuere, verbesserte Varietäten ersetzt, die Produkte von Variation und dem Überleben der am besten Angepassten.« Warum war sich der ansonsten so zögerliche Darwin bezüglich der Tatsache der organismischen Evolution trotz der zahlreichen ungeklärten Fragen hier so sicher?
Abb. 7.3: Schematische Darstellung der bekannten Fossilabfolgen während der Zeit, als Charles Darwin sein Artenbuch verfasste. Man beachte die Dreiteilung in »Primär, Sekundär und Tertiär« (Paläo-, Meso- und Känozoikum). Die Abfolge der wichtigsten Wirbeltierklassen entspricht im Prinzip unserem aktuellen
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