Tatsächlich Liebe in Notting Hill: Roman (German Edition)
Sie sagte, du seiest ihre perfekte Scarlett. Vom Winde verweht war ihr Lieblingsfilm.«
Ich musterte meinen Vater eingehend. Zärtlichkeit lag in seinen Augen und seiner Stimme, wenn er sprach. Nie zuvor hatte er so viel von meiner Mutter erzählt; bisher hatte ich immer nur Kälte in seinen Augen und Hass in seiner Stimme bemerkt, sobald auch nur ihr Name gefallen war.
Genauso schnell, wie er in seine Träumerei verfallen war, war der Moment auch schon wieder vorbei. »Insgesamt ist es weniger dein Aussehen, Scarlett, sondern vielmehr dein Verhalten.« Er sprang wieder auf. »Genau wie du hat deine Mutter jede freie Minute mit diesen unsinnigen Kinofilmen verbracht. Sie haben ihr nichts als Flausen in den Kopf gesetzt und unrealistische Hoffnungen und Träume geweckt, wie das Leben aussehen sollte. Das führte dazu, dass sie nicht mehr zufrieden war mit dem, was wir hatten. Genau wie du war auch sie eine Tagträumerin. Als David am Samstag zu mir kam, wusste ich genau, wie er sich fühlte … Es erinnerte mich daran, dass ich mich vor mehr als zwanzig Jahren in genau der gleichen Situation befunden hatte.«
»Das ist unfair«, entgegnete ich, fest entschlossen, mich zu verteidigen. Gleichzeitig versuchte ich, all die neuen Informationen über meine Mutter zu verdauen, die Dad mir geliefert hatte. Innerhalb der letzten zwei Minuten hatte ich mehr über meine Mutter erfahren als je zuvor. Dies alles kollidierte allerdings mit dem albernen Unsinn, den sich David da zusammengereimt hatte. »Ich träume keineswegs den ganzen Tag lang. Manchmal ist mein Leben eben ein wenig langweilig, das ist alles. Dann denke ich mir eine Möglichkeit aus, um die Zeit zu überbrücken, und ja, das Kino bietet mir tatsächlich eine Möglichkeit dazu. Und dann frage ich mich immer, ob es da draußen vielleicht noch mehr für mich zu entdecken gibt als hier in Stratford. Ist das etwa ein Verbrechen?«
Mein Vater verdrehte die Augen. »Du meinst damit, ob dich dort draußen nicht ein Leben erwartet wie in den rührseligen, kitschigen Filmen, die du dir immerzu ansiehst? Mit einem attraktiven Prinzen, der oben auf dem Turm auf dich wartet, um dir ein Happy End zu bereiten? Ich bin mir ganz sicher, das ist genau die Sorte Film, die du dir immer anschaust. Jede Wette, dass dort weder Blut spritzt noch irgendwelche Gedärme und Innereien durch die Gegend fliegen!«
»Ganz richtig. Warum sollte ich mir so etwas auch ansehen wollen? Schließlich gehe ich ins Kino, um mich zu amüsieren – und nicht, um mich zu ängstigen oder gar zu ekeln.«
»Aber so ist das echte Leben, Scarlett. Das Leben ist eben nicht wie eine herzförmige Schachtel Pralinen.«
»Man weiß nie, was man kriegt?«, schlug ich helfend vor.
»Wie bitte?«, fragte mich mein Vater.
Offenbar war Forrest Gump an ihm vorübergegangen. »Nicht schlimm – ist nicht weiter wichtig, Dad. Das ist ein Zitat aus einem Kinofilm.«
»Siehst du – jetzt redest du sogar schon so. Scarlett, das Leben ist kein Kinofilm! Du kannst nicht einfach durchs Leben spazieren und versuchen, dein Leben so zu leben, als seist du in einem Film! Und ganz besonders nicht in einem Film von der Sorte, die dir diese unsinnigen Flöhe ins Ohr setzt!« Verzweifelt fuhr sich mein Vater mit der Hand durchs Haar und drehte sich wieder zu mir um.
»Ach!«, rief ich und schlug mit der Hand auf die Schreibtischplatte. »Warum sagt mir das jeder? Woher wollt ihr das denn alle so genau wissen? Nehmen wir doch einmal dich als Beispiel, Dad. Du bist noch nie irgendwohin gekommen oder hast etwas Besonderes mit deinem Leben angestellt. Da draußen könnte es einen ganzen Haufen von aufregenden Dingen geben, die nur auf dich warten – ebenjene Dinge, die in den Kinofilmen passieren.«
Mein Vater wirbelte herum. »Du scheinst den Hauptgrund zu vergessen, warum ich nie irgendwohin gekommen bin oder irgendetwas tun konnte: Ich habe nämlich dich großgezogen, meine liebe Scarlett – und das ganz allein. Ich war ein alleinerziehender Vater, der versucht hat, ein kleines Unternehmen aufzubauen, das uns einen bescheidenen Lebensstandard verschaffen würde. Und ich habe all das getan, bevor es in Mode kam, ein alleinerziehender Vater mit einem Kleinkind zu sein. Ich habe hart gearbeitet, um dir eine anständige Zukunft zu bieten. Da blieb keine Zeit, um in der Weltgeschichte herumzustolzieren und die Abenteuer zu erleben, die ich deiner Meinung nach hätte suchen sollen.«
Die Stille, die sich über das Büro legte,
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