Tatsächlich Liebe in Notting Hill: Roman (German Edition)
allen Superkleber der Welt brauchen, um zusammenzubleiben. Dad schien jedoch so aufgewühlt darüber zu sein, dass ich das Bedürfnis verspürte, ihn zu schonen.
»Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn nicht mehr liebe – nur, dass ich mir nicht mehr ganz sicher bin.« Einen Augenblick lang hielt ich inne. »Aber woher weiß man schon, ob man jemanden wirklich liebt? Woher weiß man, ob man das Richtige tut, wenn man einwilligt, den Rest seines Lebens mit einer einzigen Person zu verbringen?«
Mein Vater dachte kurz darüber nach. »Ganz sicher weiß man es nie, Scarlett. Man hat einfach das Gefühl, dass dieser Mensch der Richtige für einen ist.«
»Hattest du denn dieses Gefühl bei Mum?«, fragte ich. Ich erhob mich von meinem Schreibtischstuhl und ging vorsichtig auf meinen Vater zu. »Hattest du das Gefühl …«, ich zögerte kurz, »… einen magischen Moment zu erleben, als ihr zwei euch zum ersten Mal begegnet seid?«
Ich merkte, wie sich mein Vater versteifte. Seine Einfühlsamkeit der letzten Minuten war mit einem Mal wie weggeblasen. Hätte ich einen ganzen Schwall obszöner Schimpfworte vom Stapel gelassen, hätte ich ihn wohl weniger verletzt. Immerhin hatte ich gerade die oberste O’Brien-Regel gebrochen.
Ich hatte meine Mutter erwähnt.
»Ich würde es vorziehen, deine Mutter aus dieser Diskussion herauszuhalten, Scarlett«, erwiderte er kühl und entzog sich mir, indem er in die sichere Zone seines eigenen Schreibtisches zurückkehrte.
»Das war ja klar, das sagst du immer.« Ich spürte, wie mir das Blut zu kochen begann, und ballte die Hände erneut zu Fäusten. »Aber vielleicht würde ich ja gelegentlich ganz gerne mal über sie reden? Immerhin war sie meine Mutter und deine Ehefrau!«
»Danke sehr, Scarlett – dieser Tatsache bin ich mir durchaus bewusst«, erwiderte mein Vater kühl, ohne auf meine Verärgerung einzugehen. »Aber deine Mutter hat es vor dreiundzwanzigeinhalb Jahren vorgezogen, sich aus unserem Leben zurückzuziehen. Darum sehe ich keinen Grund, warum sie darin jetzt noch eine Rolle spielen sollte.«
»Ich will doch gar nicht, dass sie darin eine Rolle spielt – ich möchte nur ab und zu über sie sprechen. Vielleicht kann ich so etwas über sie in Erfahrung bringen. Ich weiß ja nicht mal, wie sie aussah!« Vorwurfsvoll starrte ich meinen Vater an. »Als sie gegangen ist, musst du alle Beweise ihrer Existenz vernichtet haben – im Haus habe ich rein gar nichts über sie gefunden! Während die meisten Kinder nach ihren Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenken gesucht haben, habe ich nach Fotos von meiner Mutter gesucht!« Ich ließ mich wieder in meinen Stuhl fallen, und wir beide starrten uns eine Weile über unsere Schreibtische hinweg schweigend an wie zwei feindliche, einander belagernde Kriegsarmeen, die abwarteten, wie der nächste Zug des Gegners aussah.
Mein Vater lenkte als Erster ein. »Scarlett, es tut mir leid.« Seine Bestürzung war deutlich zu spüren. »Mir war nicht klar, wie sehr dir das zu schaffen macht.«
»Das hat es nicht, als ich noch klein war«, erwiderte ich. Auch mein Tonfall wurde sanfter. Dad und ich konnten einander nie lange böse sein. »Damals war es vollkommen normal für mich, zu Hause ›nur‹ einen Vater zu haben. Aber je älter ich wurde, desto dringender wollte ich wissen, wer ich war und woher ich kam. Immerhin weiß ich, dass sie Kinofilme genauso sehr geliebt haben muss wie ich, sonst hättet ihr mich bestimmt nicht auf den Namen Scarlett getauft. Ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass du meinen Namen ausgesucht hast – du hasst Filme!« Ich sah meinen Vater an, doch wie gewohnt verriet seine Miene nichts darüber, was er insgeheim dachte. »Bin ich ihr denn sonst ähnlich, wenn man davon einmal absieht?«
»Ach, Scarlett, wenn du nur wüsstest, wie sehr du ihr ähnelst!«
»Vom Aussehen her?«, fragte ich hoffnungsvoll. Das war mehr, als ich je zuvor über sie erfahren hatte!
»Teilweise.« Mein Vater kam wieder zu meinem Schreibtisch herüber. Dieses Mal kniete er jedoch neben meinem Sessel nieder, sodass ich zu ihm hinuntersehen musste. »Deine grünen Augen …«, erklärte er und legte sanft seine Hände um mein Gesicht. »Die hast du definitiv von ihr. Ich erinnere mich noch gut daran, dass deine Mutter außer sich vor Freude war, dass deine Augen die gleiche Farbe hatten wie die von Vivien Leigh. Alle anderen waren erschrocken über das wüste rabenschwarze Haar auf deinem Kopf. Nicht so deine Mutter.
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