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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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würde dem Geld eher vertrauen als seinen Worten. Carla wollte nicht sein Kind zur Welt bringen. Sie hatte Angst. Mein Gott, warum Angst haben? Washington war der beste, der stärkste, der flinkeste Basebalkrack in der berühmten Mannschaft der Red-Stars. Aber er war nicht mehr der Jüngste. Dieses mörderische Laufen um die Base! Es strengte ihn an. Er bekam keine Luft mehr. Aber ein Jahr, zwei Jahre würde er es schon noch aushalten. Er würde noch gut in der Arena sein. Ein rheumatischer Schmerz durchzuckte seinen Arm; das war eine Warnung. Er würde die Sache mit dem Benzin nicht machen. Er mußte zum Central Exchange fahren. Er mußte Carla ein Geschenk kaufen. Er mußte telefonieren. Er brauchte Geld. Gleich -
    Gleich aus der Linie sechs in die elf. Sie würde Doktor Frahm noch treffen. Es war gut, wenn sie ein wenig nach der Sprechstunde kam. Frahm hatte dann Zeit. Sie mußte es loswerden. Gleich. Washington war ein guter Kerl. Wie hatte sie sich gefürchtet! Der erste Tag in der Kaserne der Schwarzen. Der Leutnant hatte gesagt: »Ich weiß nicht, ob Sie bleiben werden.« Sie drängten sich vor dem Fenster der Tür, preßten die platten Nasen, wie Knetgummi gegen die Scheibe, ein Gesicht neben dem andern. Wer saß im Käfig?wer vertrat die Gattung im Zoo? sie hinter dem Glas? die vor dem Glas? War es ein so weiter Weg vom deutschen Wehrmachtsbüro, Sekretärin des Platzkommandanten, zu den schwarzen Soldaten der US -Transporttruppe? Sie schrieb, schrieb ganz gut Englisch, beugte den Kopf über die Maschine, nicht das fremde Wesen sehen, nicht die dunkle Haut, nicht diese Geschmeidigkeit in Ebenholz, nicht den Mann, nicht den gutturalen Laut hören, nur den Text, den er diktiert, sie mußte arbeiten, sie konnte nicht bei der Mutter bleiben, nicht bei Frau Behrend, sie gab ihr Unrecht in der Verurteilung des Musikmeisters, sie mußte für ihren Jungen sorgen, sein Vater lag an der Wolga, vielleicht ertrunken, vielleicht begraben, verschollen in der Steppe, kein Gruß mehr nach Stalingrad, sie mußte was auftreiben, man war am Verhungern, die schlimmen Jahre fünf und vierzig, sechsundvierzig, siebenundvierzig, am Verhungern, sie mußte, warum sollte sie nicht? waren es nicht auch Menschen? Am Abend war er da. »Ich bringe Sie nach Hause.« Er führte sie durch den Kasernengang. War sie nackt? Die Männer standen im Gang, dunkel im Abendschatten des Ganges, ihre Augen waren wie unruhige weiße Fledermäuse und ihre Blicke wie Haftscheiben an ihrem Leib. Er saß neben ihr am Steuer des Jeeps. »Wo wohnen Sie?« Sie sagte es ihm. Er sprach nicht während der Fahrt. Er hielt vor ihrem Haus. Er öffnete den Wagenschlag. Er reichte ihr Schokolade, Konserven, Zigaretten, sehr viel in jenen Tagen. »Auf Wiedersehen.« Nichts weiter. Jeden Abend. Er holte sie ab aus dem Büro, führte sie durch den Gang mit den wartenden, starrenden, dunklen Männern, brachte sie heim, saß stumm neben ihr im Wagen, schenkte ihr was, sagte: »Auf Wiedersehen.« Manchmal hockten sie wohl eine Stunde in dem Wagen vor ihrem Haus: stumm und ohne sich zu rühren. Auf der Straße lag damals noch der Schutt der zerbombten Gebäude. Der Wind wehte Staub auf. Die Ruinen waren wie ein Totenfeld, außerhalb jeder Wirklichkeit des Abends, waren Pompeji, Herculaneum,Troja, versunkene Welt. Eine erschütterte Mauer stürzte ein. Neuer Staub legte sich wie eine Wolke über den Jeep. In der sechsten Woche hielt Carla es nicht mehr aus. Sie träumte von Negern. Im Traum wurde sie vergewaltigt. Schwarze Arme griffen nach ihr: wie Schlangen kamen sie aus den Kellern der Ruinen. Sie sagte: »Ich kann nicht mehr.« Er kam mit ihr auf ihr Zimmer. Es war wie ein Ertrinken. War es die Wolga? nicht eisig ein glühender Strom. Am nächsten Tag kamen die Nachbarn, kamen die Bekannten, der frühere Wehrmachtchef kam, alle kamen sie, wollten Zigaretten, Konserven, Kaffee, Schokolade »sag deinem Freund, Carla«, »dein Freund kann im Central Exchange, im amerikanischen Kaufhaus, Carla«, »wenn dein Freund mal dran denken würde, Carla, Seife«: Washington Price besorgte, beschaffte, brachte. Die Freunde bedankten sich leichthin. Es war, als liefere Carla einen Tribut ab. Die Freunde vergaßen, daß die Waren im amerikanischen Lager Dollars und Cents kosteten. War es zum Lachen? War es schön? War es, um stolz drauf zu sein? Carla als Wohltäterin? Sie wußte es bald nicht mehr, und Nachdenken strengte sie an. Sie gab die Stellung in der Transportkaserne auf, zog in

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