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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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ein anderes Haus, wo andere Mädchen mit anderen Männern verkehrten, lebte mit Washington zusammen, war ihm treu, obwohl sich ihr nun viele, ja ungezählte Gelegenheiten zum Beischlaf ergaben, denn jedermann, ob Schwarz ob Weiß, Deutscher oder Ausländer, glaubte nun, da sie mit Washington zusammenlebte, daß sie mit allen ins Bett ginge, es geilte sie auf, und Carla war ihres Gefühls nicht sicher und fragte sich ›liebe ich ihn? liebe ich ihn wirklich? fremd, fremd aber ich bleibe ihm treu, treu das bin ich ihm schuldig, keinen andern‹, und im Nichtstun gewöhnte sie sich an die Bilderwelt unzähliger Magazine, die ihr das Damenleben in Amerika zeigten, die automatischen Küchen, die Waschwunder und Spülmaschinen, die alles reinigten, während man im Liegestuhl der Television folgte, Bing Crosby erschien in jedem Heim, dieWiener Sängerknaben jubelten vorm elektrischen Herd, im schwellenden Polster des Pullmanwagens fuhr man von Ost nach West, im Stromlinienauto genoß man am Abend die Lichter- und Palmenpracht am Golf von San Franzisko, Sicherheit jeder Art wurde von Tablettenfabrikanten und Insurancegesellschaften angeboten, keine Angstträume ängstigten mehr, denn you can sleep soundly tonight mit Maybels Magnesium Milch, und die Frau war die Königin, der alles dort diente und zu Füßen lag, sie war the gift that starts the home, und für die Kinder gab es Puppen, die echte Tränen weinten; es waren die einzigen Tränen, die in diesem Paradies geweint wurden. Carla wollte Washington heiraten. Sie war bereit, ihm in die Staaten zu folgen. Durch ihren ehemaligen Chef, den Platzkommandanten, der jetzt Bürovorsteher in einer Anwaltskanzlei war, ließ sie die Todeserklärung ihres an der Wolga verschollenen Mannes betreiben. Und da kam das Kind, ein schwarzes Wesen, rührte sich in ihrem Leib, kam zu früh, bereitete ihr Übelkeit, nein, sie wollte es nicht, Doktor Frahm mußte ihr beistehen, mußte es nehmen, gleich -
    »Das Zentrum, das Sie hier sehen, war vollständig zerstört. Fünf Jahre Aufbau demokratischer Verwaltung und Verständnis der Alliierten machten die Stadt wieder zum blühenden Mittelpunkt des Handels und des Gewerbes« MARSHALLPLANHILFE AUCH FÜR DEUTSCHLAND, ERPMITTEL GEKÜRZT, SENATOR TAFT KRITISIERT AUSGABEN . Der Autobus mit der Reisegesellschaft der Lehrerinnen aus Massachusetts passierte die Kreuzung. Sie reisten, ohne es zu ahnen, getarnt. Keinem Deutschen, der die Frauen hinter den Scheiben des Autobusses sah, fiel es ein, sie für Lehrerinnen zu halten. Es waren ja Damen, die da auf rotem Leder saßen, wohlgekleidete, schöngeschminkte, jugendlich gehaltene und wirklich junge, jedenfalls, so dachte man, reiche, gepflegte, nichtstuende, sich mit Stadtbesichtigungen die Zeit vertreibende Damen. ›Hättet ihr dieStadt nicht in Brand geworfen, gäb's hier was anderes zu sehen und ihr wäret garnicht hier, Soldaten, schön, aber auch noch Weiber auf Besatzungskosten, das sind doch lauter Drohnen.‹ Eine amerikanische Lehrerin verdient - was verdient sie? - ach, unendlich viel mehr als ihre deutsche Kollegin in Starnberg, das arme verschüchterte Wesen, ›ja keinen Anstoß erregen, etwas Puder im Gesicht der Herr Vikar könnte es übel vermerken, der Herr Schulrat könnte es in die Personalakten schreiben. Erziehung ist in Deutschland eine ernste und graue Angelegenheit, fern jeder Daseinsfreude, ein Pfui dem Mondänen, und es bleibt ewig unvorstellbar, eine Dame auf einem deutschen Schulkatheder zu sehen, geschminkt, parfümiert, zu den Ferien in Paris, auf Studienreisen in New York und in Boston, Massachusetts, mein Gott, die Haare sträuben sich, wir sind ein armes Land, und das ist unsere Tugend. Kay saß neben Katharine Wescott. Kay war einundzwanzig, Katharine achtunddreißig Jahre alt. »Du bist in Kays grüne Augen verliebt«, sagte Mildred Burnett. ›Grüne Augen Katzenaugen falsche Augen.‹ Mildred war fünfundvierzig und saß vor ihnen. Sie hatten einen Tag für die Stadt und zwei weitere für die amerikanische Besatzungszone in Deutschland. Katharine schrieb alles mit, was der neben dem Fahrer stehende Mann vom American Expreß Büro ihnen erzählte. Sie dachte ›ich kann es im Geschichtsunterricht anbringen, es ist eine historische Stunde, Amerika in Deutschland, die stars and stripes über Europa, ich habe es mir angesehen, ich habe es erlebt‹. Kay hatte es aufgegeben, während der Besichtigungsfahrten ein Merkheft zu führen. Man sah ohnedies zuwenig. Erst im

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