Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
Vom Netzwerk:
Hotel übertrug Kay die wichtigsten Daten aus Katharines Stenogramm in ihr Reisetagebuch. Kay war enttäuscht. Das romantische Deutschland? Es war düster. Das Land der Dichter und Denker, der Musik und der Gesänge? Die Leute sahen aus wie Leute überall. An der Kreuzung stand ein Neger. Ein kleiner Radiokoffer spielte Bahama-Joe. Das war wie in Boston; wie in einer Vorstadtvon Boston. Das andere Deutschland war wohl eine Erfindung des Professors für Germanistik im College. Er hieß Kaiser und hatte bis zum Jahre dreiunddreißig in Berlin gelebt. Man hatte ihn vertrieben. Vielleicht hat er Heimweh‹ dachte Kay, ›es ist ja seine Heimat, er sieht das anders als ich, er mag Amerika nicht, er hält sie hier alle für Dichter, sie sind nicht so geschäftstüchtig wie die Leute bei uns, aber sie haben ihn vertrieben, warum? er ist ein netter Mann, in Amerika haben wir auch Dichter, Kaiser sagt, es sind Schriftsteller, bedeutende Schriftsteller, aber er macht da einen Unterschied, immerhin: Hemingway, Faulkner, Wolfe, O'Neill, Wilder, Edwin lebt in Europa, wandte uns den Rücken, auch Ezra Pound, in Boston hatten wir Santayana, die Deutschen haben Thomas Mann, aber der ist bei uns, komisch, auch vertrieben, sie hatten, sie hatten Goethe, Schiller, Kleist, Hölderlin, Hofmannsthal, Hölderlin und Hofmannsthal sind Doktor Kaisers Lieblingsdichter, Rilkes Elegien, Rilke starb sechsundzwanzig, wen haben sie jetzt? sitzen auf den Trümmern Karthagos und weinen, ich müßte unserer Reisegesellschaft entwischen, vielleicht würde ich jemand kennenlernen, einen Dichter, ich würde mit ihm sprechen, ich eine Amerikanerin, ich würde ihm sagen, er soll nicht traurig sein, aber Katharine paßt auf mich auf, lästig, ich bin erwachsen, sie wollte nicht daß ich Across-the-river lese ein Buch das nie hätte gedruckt werden dürfen sagte sie, warum eigentlich nicht? wegen der kleinen Contessa? ob ich auch so schnell?‹ - ›Die Stadt ist farblos‹, dachte Mildred, ›und die Frauen sind schlecht angezogene Katharine notierte: Noch immer sichtbar die Unterdrückung der Frau, keine dem Mann gleichwertige Stellung. Sie würde darüber in Massachusetts im Frauenklub sprechen. Mildred dachte ›es ist blöd mit lauter Weibern zu reisen, wir müssen stinken, die Frau das schwache Geschlecht, ermüdend diese Fahrt, was sieht man? nichts, jedes Jahr laß ich mich wieder darauf ein, die gefährlichen Krauts, die Judenschinder, jeder Deutsche unterm Stahlheim, ich seh' nichts, friedliche Leute, arm wohl, ein Soldatenvolk, WARNUNG VOR OHNE UNS PROPAGANDA , Ka-tharine mag den Hemingway nicht, stellte sich an die Gans als Kay das Buch lesen wollte, ein furchtbares Buch, Comtesse geht mit altem Major ins Bett, Kay ginge auch mit Hemingway ins Bett, ist aber kein Hemingway da, dafür Schokolade als Betthupfer von Katharine, Kay-Liebling, ihre grünen Augen, haben es ihr angetan, was seh' ich? natürlich ein Pissoir, nie seh' ich Denkmäler, immer nur so was, ob ich mich mal analysieren lasse? wozu? zu spät, in Paris an diesen Orten Wellblech wie kurze Hottentottenschürzen, daß sich die Kerle nicht genieren?‹
    Grünes Licht. Messalina hatte sie entdeckt. Alexanders lustwütiges Weib. Emilia wollte ihr entwischen, wollte sich verstecken, aber die Flucht in die Retirade mißglückte: es war ein Männerpissoir grade an der Straßenecke, und Emilia merkte es erst, als ihr Herren entgegentraten, die sich die Hose schlossen. Emilia erschrak, stolperte und wäre, nun auch noch von dem strengen Ammoniakdunst und Teergeruch benommen, mit dem schweren Plaid, dem lustigen komischen Plaid der Karikaturisten beinahe gegen die urinierenden Rücken gefallen, die Rücken, über die sich ihr Köpfe zuwandten, sinnend ins Leere gerichtete Augen, einfältige Gesichter, die langsam den Ausdruck des Staunens annahmen. Messalina hatte von dem erspähten Opfer nicht gelassen; sie hatte ihr Taxi verabschiedet, das Mietsauto, das sie zum Friseur bringen sollte, zum Bleichen und Aufplustern der Haare: nun wartete sie vor der Retirade. Emilia kam mit feuerrotem Kopf aus der Männerzuflucht gerannt, und Messalina rief: »Emilykind suchst du Strichjungenbekanntschaften, ich kann dir Hänschen empfehlen, er ist der Freund von Jack, du weißt doch, wer Jack ist, sie treffen sich bei mir. Tag, wie geht's dir denn, laß dich küssen, du hast einen so frischen Teint, ganz rot. Du treibst es zu wenig, komm heut abend zu mir, ich geb eine Party, vielleichtkommt Edwin der

Weitere Kostenlose Bücher