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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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aufraffen, Philipp. Warum schreiben Sie keinen Film? Sie kennen doch Alexander. Sie haben doch Beziehungen. Messalina erwartet viel von Ihnen!« Doch Philipp dachte ›welchen Film soll ich schreiben? wovon redet sie? Filme für Alexander? Filme für Messalina? ERZHERZOGLIEBE IM ATELIER , ich kann das nicht, sie wird es nicht begreifen, aber ich kann das nicht, ich verstehe es nicht, Erzherzog liebe, was sagt mir das? die falschen Gefühle, die echten falschen Gefühle, kein Organ dafür, wer will so was sehen? alle, so sagt man, ich glaube es nicht, ich weiß es nicht, ich will nicht!‹ - »Aber wenn Sie nicht wollen«, sagte die Gräfin, »dann tun Sie was anderes, Philipp, verkaufen Sie einen leichtabsetzbar en Artikel, ich habe die Vertretung für einen Patentkleber, jedes Geschäft braucht ihn, hausieren Sie doch mit ihm. Keine Verpackung ist heute ohne den Patentkleber denkbar, er spart Zeit und Material, Sie brauchen nur in den ersten besten Laden zu gehen, und schon haben Sie zwei Mark verdient. Zwanzig, dreißig Packungen können Sie am Tag verkaufen - rechnen Sie sich das aus!« So das Gespräch mit Anne, der dürren, der geschäftstüchtigen, ein suggestives Geschwätz, nun saß er in der Tinte, nein, stand da mit dem Kleister - er öffnete die Tür. Eine Alarmvorrichtung schrillte und erschreckte ihn. Er zuckte zusammen wie ein Dieb. Seine Linke umkrampfte in der Manteltasche den Patentkleber der Gräfin. Die Schreibmaschinen blitzten im Neonlicht, und Philipp hatte die Empfindung, daß ihre Tastaturen ihn angrinsten: die Buchstabenfront wurde zu einem höhnenden offenenMaul, in dem das Alphabet mit bleckenden Zähnen nach ihm schnappte. War Philipp nicht Schriftsteller? Herr der Schreibgeräte? Ein gedemütigter Herr! Wenn er den Mund aufmachte, ein Zauberwort ausspräche, würden sie losklappern: willige Diener. Philipp wußte das Zauberwort nicht. Er hatte es vergessen. Er hatte nichts zu sagen. Er hatte den Leuten, die draußen vorübergingen, nichts zu sagen. Die Leute waren verurteilt. Er war verurteilt. Er war in anderer Weise verurteilt als die vorübergehenden Leute. Aber er war auch verurteilt. Die Zeit hatte diesen Ort verurteilt. Sie hatte ihn zu Lärm und Schweigen verurteilt. Wer redete, was redete man denn? WIE EMMY HERMANN GÖRING KENNENLERNTE , die grellen Plakate schrien es von allen Wänden. Lärm für ein Jahrhundert. Was sollte Philipp hier? Er war überflüssig. Er war feige. Er hatte nicht den Mut, dem Geschäftsmann im eleganten Anzug, viel neuer als Philipps Anzug war, den gräflichen Patentkleber anzubieten, einen, wie es Philipp nun vorkam, völlig lächerlichen und unnützen Gegenstand. ›Mir fehlt der Sinn für die Wirklichkeit, ich bin eben kein ernster Mann, der Geschäftsmann hier ist ein ernster Mann, ich kann das was alle treiben einfach nicht ernst nehmen, ich finde es komisch dem Mann etwas zu verkaufen, gleichzeitig bin ich zu feige dazu, soll er seine Pakete verkleben womit er will, was geht es mich an? warum klebt er Pakete? um seine Maschinen zu verschicken, warum verschickt er sie? um Geld zu verdienen, um gut zu essen, um sich gut zu kleiden, weil er gut schlafen will, Emilia hätte diesen Mann heiraten sollen, und was tun die Leute mit den Maschinen die sie bei ihm gekauft haben? sie wollen mit ihnen Geld verdienen und gut leben, sie stellen Sekretärinnen an, schauen ihnen auf die Waden und diktieren Briefe «Sehr geehrte Herren wir bestätigen Ihr Gestriges und geben unser Heutiges», ich möchte ihnen ins Gesicht lachen, dabei lachen sie mich aus, sie haben recht, ich bin der Reingefallene, ein Verbrechen an Emilia, unfähig, feige, überflüssig bin ich: ein deutscher Schriftsteller.‹ - »Was darf ich dem Herrn zeigen?« Der elegant gekleidete Geschäftsmann verbeugte sich vor Philipp, auch er ließ sich's sauer werden. Philipps Blick schweifte über die Stellagen mit den blanken geölten Maschinen, den boshaften zu jedem Schabernack bereiten Erfindungen, denen der Mensch seine Gedanken, seine Mitteilungen, seine Botschaften, die Kriegserklärungen anvertraute. Dann sah er das Diktiergerät. Es war ein Tonaufnahmekoffer, wie er ihn von zwei Rundfunklesungen kannte, die er aufs Magnetophon band gesprochen hatte, und auf dem Apparat stand das Wort Reporter. Reporter heißt Berichterstatter. ›Bin ich ein Berichterstatter?‹ dachte Philipp. ›Ich könnte mit diesem Gerät Bericht erstatten, berichten, daß ich zu feige und zu unfähig bin, einen Kleister

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