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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Welz mußte Beziehungen zur Polizei haben. Die Polizei griff nicht ein, KREBSSCHÄDEN DER DEMOKRATIE . In Wahrheit sah die Polizei nur keinen Grund zum Einschreiten. Sie konnte nicht überall einschreiten, wo etwas faul in der Stadt war. Überdies hätten die alten Frauen das Eingreifen der Polizei sehr bedauert. Die Polizei hätte sie um das einzige Schauspiel gebracht, das sie sich leisten konnten.
Washington ging die Treppe hinauf: Dschungel umgaben ihn. Hinter jeder Tür standen sie und lauschten. Sie waren domestizierte Raubtiere; sie witterten noch das Wild, aber die Zeit war nicht günstig, die Zeit erlaubte es der Herde nicht, sich auf die fremde, in das Revier der Herde eingedrungene Kreatur zu stürzen. Die Welz öffnete die Tür. Die Frau war struvelhaarig, fett, hängeärschig, schmutzig. Für sie war wiederum Washington ein gezähmtes Haustier: nicht gerade eine Kuh, aber noch immerhin eine Ziege, ›ich melk' den schwarzen Bock‹ - »Is nich da«, sagte sie. Sie wollte ihm die Pakete abnehmen. Er sagte: »Oh, macht nichts.« Er sagte es mit der freundlichen unpersönlichen Stimme der Schwarzen, wenn sie zu Weißen sprechen, aber die Stimme hatte einen gepreßten und ungeduldigen Unterton. Er wollte die Frau los werden. Er verabscheute sie. Er ging durch den düsteren Korridor zu Carlas Zimmern. Aus einigen Türen beobachteten ihn die Mädchen, die sich bei Frau Welz mit den Soldaten trafen. Washington litt unter dieser Wohnung. Aber er konnte es nicht ändern. Carla fand keine anderen Zimmer. Sie sagte: »Mit dir finde ich keine anderen.« Auch Carla litt unter der Wohnung, aber sie litt weniger unter ihr als Washington, dem sie unermüdlich versicherte, wie sehr sie leide, wie unwürdig das alles für sie sei, und das hieß unausgesprochen, wie sehr sie sich verschenke, wie tief sie sich herablasse, tief zu ihm, und daß er durch immer neue Liebe, neue Geschenke, neue Aufopferung es ein wenig gut machen müsse, ein ganz klein wenig nur. Carla verachtete und beschimpfte Frau Welz und die Mädchen, aber wenn sie allein war, wenn sie sich langweilte, wenn Washington in der Kaserne arbeitete, biedertesie sich mit den Mädchen zusammen, lud sie ein, tratschte mit ihnen den Mädchentratsch, den Hurenschwatz, oder sie saß bei Frau Welz in der Küche, trank am Herd den Mischkaffee aus dem stets auf dem Feuer brodelnden Topf und erzählte alles, was Frau Welz (die es dann an die Nachbarinnen weitergab) wissen wollte. Die Mädchen im Gang zeigten Washington, was sie hatten; sie öffneten ihre Kleiderschürzen, richteten sich die Strumpfbänder, wedelten Duftwolken aus dem gefärbten Haar. Es war ein Wettstreit unter den Mädchen, ob es einer einmal gelänge, Washington ins Bett zu bekommen. Da sie Neger nur im Zustand der Brunst kannten, schloß ihr kleines Hirn, daß alle Neger geil seien. Sie verstanden Washington nicht. Sie begriffen nicht, daß er kein Bordellgänger war. Washington war für ein glückliches Familienleben geboren; doch leider war er durch unglückliche Zufälle vom Wege und in diese Wohnung, war er in Schlamm und Dschungeln geraten.
Washington hoffte im Wohnzimmer eine Botschaft zu finden, die Carla vielleicht hinterlassen hatte. Er glaubte, Carla würde bald zurückkehren. Vielleicht war sie zum Friseur gegangen. Er suchte auf der Spiegelkommode nach einem Zettel, der ihm sagen sollte, wohin sie gegangen sei. Auf der Kommode standen Flaschen mit Nagellack, Gesichtswasser, Cremetöpfchen und Puderschachteln. Im Rahmen des Spiegels steckten Photographien. Ein Bild zeigte Carlas verschollenen Ehemann, der jetzt seiner Todeserklärung, seinem amtlichen Tod entgegenging, von dem die Fessel genommen wurde, die ihn und Carla in dieser Welt verband bis-daß-der-Tod-euch-scheide. Er war in feldgrauer Uniform. Auf seiner Brust war das Hakenkreuz zu sehen, gegen das Washington zu Feld gezogen war. Washington betrachtete den Mann gleichmütig. Gleichmütig betrachtete er das Hakenkreuz auf der Brust des Mannes. Das Kreuz war bedeutungslos geworden. Vielleicht hatte das Rassenkreuz dem Mann nie etwas bedeutet. Vielleicht hatte Washington nie gegen dieses Kreuz gekämpft. Vielleichtwaren sie beide betrogen worden. Er haßte den Mann nicht. Der Mann beunruhigte ihn nicht. Er war nicht eifersüchtig auf seinen Vorgänger. Zuweilen beneidete er ihn darum, daß er's hinter sich hatte. Das war so ein dunkles Gefühl; Washington verdrängte es immer. Neben ihrem Gatten hing Carla im Rahmen des Spiegels im

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