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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Hochzeitsschmuck und mit weißem Schleier. Sie war achtzehn Jahre alt, als sie heiratete. Zwölf Jahre war es her. In diesen Jahren war die Welt zusammengebrochen, in der Carla und ihr Mann lange und sicher zu leben glaubten. Freilich war ihre Welt nicht mehr die Welt der Eltern gewesen. Carla war schwanger, als sie zum Standesamt ging, und der weiße Schleier auf der Photographie war Lüge und doch nicht Lüge, weil niemand belogen wurde oder belogen werden konnte, denn der weiße Schleier hatte schon lange nur noch schmückenden Sinn und wurde eine peinliche dem Spott ausgelieferte Maskerade, wenn man ihn für das Zeichen der unverletzten Scham nahm, und keinesfalls war es frivol, daß man so dachte, denn die Zeit war eher geneigt, die Vorstellung, daß der Bräutigam nach vollzogener öffentlicher Zuführung und Feier sich auf die Braut stürze, auf das weiße Lamm, mit dem er das Hymenopfer vollzog, als frivol und schamlos zu empfinden, dennoch bedurfte es der Trauung, des Ordentlichen und der Amtlichkeit des Zusammentuns, des Segenspruches der Gemeinschaft, der Kinder wegen bedurfte es dies alles, der Kinder, die der Gemeinschaft geboren werden sollten und selbst mit Werbung ins Leben gelockt wurden, BESUCHT DAS SCHÖNE DEUTSCHLAND , und Carla und ihr Mann, die eben Getrauten, glaubten damals an ein Reich, dem man Kinder schenken konnte, vertrauensvoll, pflichtgemäß und verantwortungsbewußt, KINDER REICHTUM DER NATION, EHESTANDSDARLEHEN FÜR JUNGE LEUTE . Carlas Eltern hingen auch im Rahmen des Spiegels. Frau Behrend hatte sich mit Blumen im Arm aufnehmen lassen, der Musikmeister war in Uniform, aber statt des DirigentenStabes hieltseine linke Hand den Griff einer Geige, die er im Sitzen gegen die Sehenkel stützte. So waren Herr und Frau Behrend als poetisch und musisch gesonnenes Paar friedlich vereint. Heinz war als Säugling Photographien. Er stand aufrecht im Kinderwagen und winkte. Er wußte nicht mehr, wem er zugewinkt hatte, irgendeiner erwachsenen Person wahrscheinlich; die Person war sein Vater gewesen, der hinter der das Bild aufnehmenden Kamera gestanden hatte, und bald darauf war Vater in den Krieg gezogen. Ein Bild, das von größerem Format als die übrigen war, zeigte nun gar ihn selbst, Washington Price: Er war im Baseballdreß mit der weißen Schirmmütze, den Fanghandschuhen und dem Schläger. Sein Gesichtsausdruck war würdig und ernst. Das war Carlas Familie. Washington gehörte zu Carlas Familie. Für eine Weile starrte Washington stumpfsinnig auf die Bilder. Wo mochte Carla sein? Was sollte er hier? Er sah sich mit seinen Blumen und den Paketen im Spiegel. Es war komisch, wie er in diesem Zimmer stand vor den Familienbildern, dem Toilettenkram und dem Spiegel. Für einen Augenblick hatte Washington das Gefühl, sein Leben sei sinnlos. Ihm schwindelte vor seinem Spiegelbild. Aus einem Zimmer der Mädchen klang Radiomusik. Der amerikanische Sender spielte die kummervoll erhabene Melodie Negerhimmel von Ellington. Washington hätte weinen mögen. Während er die Melodie hörte, ein Heimatlied aus einem Hurenzimmer in der Fremde (und wo war nicht Fremde?), empfand er die ganze Häßlichkeit des Daseins. Die Erde war kein Himmel. Die Erde war bestimmt kein Negerhimmel. Aber gleich eilte sein Lebensmut einer Fatamorgana entgegen, er klammerte sich an den Gedanken, daß bald ein neues Bild im Spiegel stecken würde, das Bild eines kleinen braunen Kindes, des Kindes, das er und Carla der Welt schenken wollten.
Er trat in die Küche an den Herd zu Frau Welz, zu den brodelnden Töpfen, und sie gab ihm zu verstehen, eine Hexe in Wolken von Rauch, Dampf und Gerüchen, daß siewohl wisse, wo Carla sei, er möge beruhigt sein, es sei doch nicht in Ordnung mit Carla, es hätte doch was gegeben, er wisse schon, man passe ja mal nicht auf, wenn man wen lieb habe, passe man nicht auf, sie kenne sich aus, man sehe es ihr wohl nicht mehr an, aber sie wisse Bescheid, und die Mädchen hier, sie wüßten alle Bescheid, ja mit Carla, das sei nicht schlimm (er verstand nicht, er, Washington, verstand nicht, verstand nicht das deutsche Hexeneinmaleins, eine böse Frau, was wollte sie? was war mit Carla? warum sagte sie nicht, sie sei beim Friseur, sei ins Kino gegangen? warum das Gemurmel? soviel üble Worte), garnicht schlimm sei es also, wo sie doch einen so guten Doktor habe und immer für den Doktor gesorgt habe in der schlechten Zeit, »ich sagte ja zu Carla, es ist zu viel Carla, aber Carla wollte ihm das

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