Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
Vom Netzwerk:
Beste bringen, nun weiß man, wozu es gut war, daß Carla ihm das Beste brachte«, gar kein Anlaß zur Sorge sei gegeben, »Washington, Doktor Frahm wird es schon machen«. Dies verstand er. Er verstand den Namen Doktor Frahm. Was war? War Carla krank? Washington erschrak. Oder war sie des Kindes wegen zum Arzt gegangen? Aber das konnte nicht sein, das konnte nicht sein. Das konnte sie nicht tun, grade dies konnte sie nicht tun -
    Es war ein Scherz. Irgend jemand hatte sich den Scherz gemacht, Emilia an zu viel Besitz zu binden. Aber vielleicht war es nicht einmal ein Scherz, vielleicht war Emilia jeder Macht, jeder Planung, jeder Überlegung, jeder guten oder bösen Fee, dem Geist des Zufalls so gleichgültig, daß es nicht einmal zu einem Scherz gereicht hatte, und sie war mit ihrem Besitz zusammen in den Abfall geworfen worden, ohne daß irgendwer sie hatte dahin werfen wollen, zufällig war's geschehen, gewiß zufällig, aber es war ein völlig geistloser, ein dummer, ein ganz bedeutungsloser Zufall, der sie an Güter gebunden hatte, die ihr von anderen und dann auch von den eigenen Wünschen immerfort als Mittel zu einem herrlichen Leben beschrieben wurden, während dasErbe in Wahrheit nur noch eine Bohèmeexistenz ermöglichte mit Unordnung, Ungewißheit, Bettelgängen und Hungertagen, eine Bohèmeexistenz, die grotesk mit Kapitalverwaltung und Steuerterminen gekoppelt war. Nicht mit Emilia hatte die Zeit etwas geplant, weder im Guten noch im Bösen etwas mit ihr vorgehabt, Emilias Erbe nur war dem Zeitgeist und seiner Planung verfallen, das Kapital wurde gesprengt, in manchen Ländern war es schon gesprengt, in anderen würde es gesprengt werden, und in Deutschland lockerte die Stunde wie Scheidewasser den Besitz, fraß mit Ätzung auf, was sich an Reichtum angesammelt hatte, und es war töricht von Emilia, die Spritzer der Ätzung, soweit sie die scharfe Lösung traf, persönlich zu nehmen, sie für eine ihr persönlich zugedachte Ranküne des Schicksals zu halten. Niemand dachte ihr etwas zu. Das Leben, das Emilia nicht meisterte, war Wendezeit, Schicksalszeit, aber dies nur im Großen gesehen, und im Kleinen konnte man weiterhin Glück und Unglück haben, und Emilia hatte das Pech, sich hartnäckig und ängstlich an das Entschwindende zu klammern, das in einer verzerrten, ungeordneten, anrüchigen und auch ein wenig lächerlichen Agonie lag; doch war die Geburt der neuen Weltzeit nicht weniger vom Grotesken, Ungeordneten, Anrüchigen und Lächerlichen umrandet. Man konnte auf der einen und auf der anderen Seite leben, und man konnte auf dieser und jener Seite des Zeitgrabens sterben. » Große Glaubenskriege werden kommen«, sagte Philipp. Emilia verwechselte das alles, sie sah sich durch Geldschwierigkeiten in die Schicht der Bohème versetzt, sah sich zu Leuten gesetzt, die bei Emilias Eltern zwar Freitisch und Narrenfreiheit, aber nicht Achtung genossen hatten, und die Großeltern, die den Familienreichtum so fruchtbar mehrten, hätten diese Windigen überhaupt nicht empfangen. Emilia haßte und verachtete die Bohème, die mittellosen Geistigen, die lebensuntüchtigen Schwätzer, die Träger ausgefranster Hosen und ihre hier schon aus zweiter Hand gekleideten, nach längstvergangener Pariser Tabu-Keller-Mode angezogenen billigen Freundinnen, mit denen sie nun auf demselben Kehricht lag, während Philipp die Schicht, die Emilia so verabscheute, einfach mied, weil er sie als Bohème nicht anerkannte, die Bohème war schon lange tot, und das Volk, das so tat, als gäbe es noch die jungen Intellektuellen, die Revoluzzer und Kunsttheoretiker im Kaffeehaus, das waren für den Abend Maskierte, die sich in hergebrachter Weise amüsieren wollten, während sie am Tage, lange nicht so untüchtig, wie Emilia dachte, als Gebrauchsgraphiker arbeiteten, Reklametexte schrieben, beim Film und Rundfunk verdienten und, die Tabu-Mädchen, brav hinter Schreibmaschinen saßen, die Bohème war tot, sie war schon gestorben, als das Romanische Café in Berlin von Bomben getroffen brannte, sie war schon tot, als der erste SA-Mann das Café betrat, sie war genau genommen schon vor Hitler von der Politik gewürgt worden. Der Züricher Bohémien Lenin hatte, als er nach Rußland abreiste, die Tür des Literatencafes für die nächsten Jahrhunderte geschlossen. Was nach Lenin im Café blieb, war im Grunde konservativ, war konservative Pubertät, konservative Liebe zu Mimi, war konservativer Bürgerschreck (wobei noch zu bedenken war,

Weitere Kostenlose Bücher