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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Natürlich, auch hier war Wald gewesen, dichter Urwald, grünes Gestrüpp, Odysseus sah gewaltige Dschungeln unter sich wachsen, Gestrüpp, Farne, Lianen überwucherten die Häuser; was gewesen war, konnte immer wieder kommen. Odysseus schlug Josef auf die Schulter. Der alte Dienstmann taumelte unter dem Schlag. Odysseus lachte, lachtesein breites König-Odysseus-Lachen. Wind regte sich in der Höhe. Odysseus streichelte eine gotische Dämonenfratze des Turmvorsprunges, eine Steinfigur des Mittelalters, das die Teufel auf die Türme verbannte, und Odysseus holte einen Rotstift aus seiner Jacke und schrieb quer über den Dämonenleib stolz seinen Namenszug: Odysseus Cotton aus Memphis-Tennessee, USA.
    Was brachten einem die Amerikaner? Es war schimpflich, daß Carla sich mit einem Neger verbunden hatte; es war fürchterlich, daß sie von einem Neger geschwängert war; es war ein Verbrechen, daß sie das Kind in sich töten wollte. Frau Behrend weigerte sich, weiter darüber nachzudenken. Das Schreckliche konnte man nicht aussprechen. Wenn etwas geschah, was nicht geschehen durfte, mußte man schweigen. Hier war nicht Liebe, hier waren Abgründe. Das war nicht das Liebeslied, wie es Frau Behrend im Radio hörte, das war nicht der Film, den sie gerne sah, hier ging es nicht um die Leidenschaft eines Grafen oder eines Chefingenieurs wie in den Romanheften, die so erhebend zu lesen waren. Hier gähnten nur Abgründe, Verloren sein und Schande. ›Wenn sie nur schon in Amerika wäre‹, dachte Frau Behrend, ›Amerika soll zusehen, wie es mit der Schande fertig wird, wir haben hier keine Neger, aber Carla wird nie nach Amerika fahren, sie wird mit ihrem schwarzen Bankert hier bleiben, sie wird mit dem schwarzen Kind auf dem Arm in dieses Café kommen.‹ - ›Ich will nichts dachte Carla, › wo her weiß sie es? hat der Fischkopf Seheraugen? ich wollte es ihr sagen aber ich habe es ihr nicht gesagt, ich kann ihr garnichts sagen.‹ - ›Ich weiß alles‹, dachte Frau Behrend, ›ich weiß, was du mir sagen willst, du bist 'reingefallen, du willst was Schlechtes tun, du willst Rat wo ich nicht raten kann, tu nur das Schlechte, lauf zum Arzt, es bleibt dir garnichts anderes übrig, als das Schlechte zu tun, ich will dich hier nicht mit dem Negerkind‹ -
    Er wollte das Kind. Er sah das Kind seiner Liebe in Gefahr. Carla war nicht glücklich. Er hatte Carla nicht glücklich gemacht. Er hatte versagt. Sie waren in Gefahr. Wie sollte Washington es sagen? Wie konnte er sagen, was er fürchtete? Doktor Frahm war widerwillig in den Korridor getreten. Das Behandlungszimmer wurde gesäubert. Die Tür stand offen. Eine Frau wischte mit einem feuchten Tuch über den Linoleumbelag des Bodens. Das feuchte Tuch fuhr über die weißen Beine des großen Untersuchungsstuhles. Doktor Frahm war beim Essen gestört worden. Er war vom Tisch aufgestanden. Er hielt eine weiße Serviette in der Hand. Auf der Serviette war ein frischer roter Fleck: Wein. Ein Geruch von Karbol drang aus dem Behandlungszimmer, ein alter Wundreinigungsdunst wurde von der Frau, die das Zimmer wischte, in die Luft gescheucht. Wie sollte Washington es dem Arzt sagen? Carla war hier gewesen. Doktor Frahm sagte es. Er sagte, es sei alles in Ordnung. Was fehlte Carla dann? Warum war sie hier gewesen, wenn alles in Ordnung war? »Eine kleine Störung«, sagte Frahm. Bahnte sich hier Ärger an? Das war er also, der schwarze Vater. Ein schöner Mann, wenn man sich an die Haut gewöhnte. »Wir erwarten ein Kind«, sagte Washington. »Ein Kind?« fragte Frahm. Er blickte Washington erstaunt an. Er dachte ›ich spiele den Naivem, Doktor Frahm hatte die befremdende Vorstellung, daß der Neger in dem dunklen Korridor, er stand gerade unter dem gerahmten Spruch, diesem sogenannten Eid des Hippokrates, blaß wurde. »Fiat sie es Ihnen nicht gesagt?« fragte Washington. »Nein«, sagte Frahm. Was war mit diesem Neger los? Frahm legte die Serviette zusammen. Der rote Fleck verschwand in den weißen Falten. Es war, als schlösse sich eine Wunde. Die Sache war nicht zu machen. Carla sollte ihr Kind zur Welt bringen. Der kleine Neger wollte leben. Hier drohte Schande.
    Frau Behrend schwieg, schwieg beharrlich, beleidigt und flunderhäuptig, und Carla erriet weiter ihre Gedanken. Eswaren Gedanken, die Carla erraten und begreifen konnte, ihr eigenes Denken bewegte sieh nicht fern von den Mutter-Gedanken, vielleicht war es Schande, war es Verbrechen, was sie tat und tun wollte, Carla

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