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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Heterosexuelle. Ob man wieder Susanne aufforderte? Immer wieder Susanne? Sie war langweilig. Sie entflammte nicht. Es gab keine Mädchen mehr. Susanne war nur eine dumme Nutte.
    ›So viele Nutten gibt es‹, dachte Frau Behrend, ›und ausgerechnet auf Carla muß er sich stürzen, und sie muß ja sagen, muß auf ihn reinfallen, daß es sie nicht graust, mich würde es grausen, warum ging sie in die Kaserne, warum ging sie zu den Negern? weil sie nicht bei mir bleiben wollte, weil sie's nicht mit anhören konnte wie ich über ihren Vater jammerte, damals jammerte ich noch über sein Verbrechen, sie mußte ihn verteidigen, mußte ihn mit seinem Flitscherl verteidigen, sie hat das von ihm, das Musikerblut, sie sind Zigeuner, nur die Wehrmacht hielt sie in Zucht, sie und ihn, was war er für ein Mann wenn er dem Regiment voranschritt, der Krieg machte ihn schlecht.‹
    Es war nicht so schlimm. Die Zeitungen hatten übertrieben. Hier jedenfalls schien der Krieg nicht so schlimm getobt zu haben, und grade von dieser Stadt hatten die Berichterstattergeschrieben, daß die Kriegsfurie sie besonders heimgesucht habe. Richard, der im Autobus des Flughafens in die Stadt fuhr, enttäuschte das sich ihm bietende Bild der Zerstörungen. Er dachte ›da bin ich so weit geflogen, gestern war ich noch in Amerika, heute bin ich in Europa, im Herzen Europas würde der gute Wilhelm sagen, und was seh ich? kein Herz seh ich, ein welkes Licht, ich hab Glück, daß ich nicht hier bleiben muß‹. Richard hatte ungeheuere Verwüstungen zu sehen erwartet, mit Trümmern verschüttete Straßen, Bilder, wie sie gleich nach der deutschen Kapitulation in der Presse erschienen waren, Aufnahmen, die er als Knabe neugierig betrachtet und über die sein Vater geweint hatte. Das Stück Werg, mit dem der Vater sich die Augen gewischt, war mit Putzöl getränkt gewesen, und die Augenlider waren, verschmiert, wie von Faustschlägen gezeichnet. Richard Kirsch fuhr durch eine Stadt, die gar nicht so sehr verschieden von Columbus, Ohio, war, und Wilhelm, der Vater, hatte in Columbus, Ohio, doch gerade den Untergang dieser Stadt beklagt. Was war hier untergegangen? Ein paar alte Häuser waren zusammengebrochen. Sie waren längst untergangsreif gewesen. Die Lücken im Straßenzug würden sich schließen. Richard dachte, er möchte hier Baumeister sein; für eine Weile, und ein amerikanischer Baumeister natürlich. Was für Hochhäuser würde er ihnen auf die Schutthalden setzen! Die Gegend würde ein fortschrittlicheres Gesicht bekommen. Er verließ den Bus und schlenderte durch die Straßen. Er suchte die Straße, in der Frau Behrend wohnte. Er blickte in die Schaufenster, er sah reiche Auslagen, LEBENSHALTUNGSINDEX GESTIEGEN , eine Warenfülle, die ihn überraschte, es fehlte hier und dort an Reklame, aber sonst sahen die Läden genau wie die Läden zu Hause aus, ja oft waren sie geräumiger und prächtiger als des Vaters Waffengeschäft in Columbus. Diese Geschäftsstraße war nun die Grenze, das Grenzland, das Richard schützen sollte. Von der Höhe, vom Flugzeug sah alles einfacher, flächiger aus, man dachte in weiten Räumen, dachte geographisch, geopolitisch, unmenschlich, zog Fronten durch Erdteile wie einen Bleistiftstrich über eine Landkarte, doch unten in der Straße, unter den Menschen, die alle etwas Albernes und Erschreckendes hatten, wie es Richard schien, lebten sie in einem kranken Ungleichmaß zwischen Trägheit und Hetze, in ihrer Gesamtheit sahen sie arm, im einzelnen doch wieder reich aus, Richard hatte das Gefühl, daß hier verschiedenerlei nicht stimme, in der ganzen Konzeption nicht stimme, und daß diese Menschen für ihn undurchschaubar waren. Wollte er sie schützen? Sie sollten sehen, wie sie mit ihrem europäischen Wirrwarr zurecht kamen. Er wollte Amerika verteidigen. Wenn es sein mußte, würde er Amerika auch in Europa verteidigen. Der alte Reichswehrsoldat Wilhelm Kirsch hatte sich nach zehnjähriger Dienstzeit von Deutschland abgesetzt. Er hatte sich noch rechtzeitig mit seiner Dienstentschädigung über den Ozean zurückziehen können. Nachher kam Hitler, und mit Hitler kam der Krieg. Wilhelm Kirsch wäre ein toter Held oder ein General geworden. Vielleicht wäre er als General von Hitler oder nach dem Kriege von den Alliierten als Kriegsverbrecher gehängt worden. Allen historischen Möglichkeiten, der Ehre und dem Hängen, war Wilhelm durch seine rechtzeitige Auswanderung nach Amerika entrückt. Doch nicht ganz

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