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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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entkommen war er der Schmach. Richard, der seinen Vater von den ersten Schritten an, die taumelnd in den Laden führten, immer mit Waffen hatte hantieren sehen, mit den festen Griffen, den kühlen töten könnenden Läufen der Handfeuerwaffen, Richard hatte es verwundert, als hätte eine Kugel aus einem der Gewehre ihn getroffen, daß der Vater nicht, wie die Väter der Schulgefährten, mit der Armee ins Feld gezogen war, sondern sich als alter Waffenmeister auf einen mit Frontdienstbefreiung verbundenen Fabrikposten setzte. Richard irrte sich: sein Vater war kein Feigling, es war ihm nicht darum gegangen, sich den Strapazen, Leiden und Gefahren des Krieges zu entziehen, auch nicht Gleichgültigkeit gegen das neue erwählte Vaterland ließ ihn in den Staaten bleiben, eher noch Scheu und Zögern, das alte verlassene Vaterland der Geburt anzugreifen, aber der wirkliche Grund, aus dem Wilhelm Kirsch sich dem Krieg versagte, war seine Erziehung in der Reichswehr, war der scharfe Schliff, die Seecktsche Schulung, die Beibringung der glatten, raschen Art, den Feind zu töten, die Wilhelm Kirsch überzeugt hatten, daß alle Gewalt abscheulich und jeder Konflikt besser durch Aussprache, Verhandlung, Kompromißbereitschaft und Versöhnung als durch Pulver zu lösen sei. Amerika war für den ausgewanderten Reichswehrsoldaten Wilhelm Kirsch das Land der Verheißung gewesen, das neue Reich der Friedfertigen, die Stätte der Toleranz und des Verzichtes auf die Gewalt, Wilhelm Kirsch war mit dem Glauben der Pilgerväter in die neue Welt gereist, und der Krieg, den Amerika führte, mochte er selbst gerecht sein, war eine Erschütterung seines in einer deutschen Kaserne errungenen Glaubens an Vernunft, Verständnis und friedliche Gesinnung, und schließlich zweifelte Wilhelm Kirsch an der Wahrheit der alten Ideale Amerikas. Der alte deutsche Reichswehrsoldat war, eine Sonderlichkeit, die das Leben mit sich brachte, ein mit Handfeuerwaffen handelnder Pazifist geworden, aber Richard, sein in Amerika geborener Sohn, dachte wieder anders über Soldatentum und Krieg, und fast schien es dem Vater, als gleiche sein Sohn den jungen Offizieren der Reichswehr der zwanziger Jahre, und jedenfalls meldete sich Richard, sobald es sein Alter erlaubte, zur amerikanischen Luftwaffe. Wilhelm Kirsch hatte nicht im Krieg gekämpft. Richard Kirsch war bereit, für Amerika zu kämpfen.
    Schnakenbach wollte nicht kämpfen. Er lehnte den Krieg als Mittel menschlicher Auseinandersetzungen ab, und er verachtete den Soldatenstand, den er als Überbleibsel barbarischer Zeiten, als einen unwürdigen Atavismus in der fortgeschrittenen Zivilisation betrachtete. Er hatte denzweiten Weltkrieg still für sich gewonnen und verloren. Er hatte seinen Krieg, den berechtigten, gefährlichen und fintenreichen Krieg gegen die Musterungskommissionen, gewonnen, aber er war invalid aus dem Kampf zurückgekommen. Schnakenbach hatte eine Idee gehabt, eine wissenschaftliche Idee, denn alles richtete sich bei ihm nach wissenschaftlichen Prinzipien, und er wäre vielleicht auch bereit gewesen, wissenschaftlich Krieg zu führen, einen Krieg ohne Soldaten, einen globalen Krieg der Gehirne, deren einsame Träger Todesformeln ausbrüten, sich hinter Schalttafeln setzen und mit einem Fingerdruck auf irgendeine Taste in einem fernen Erdteil das Leben vernichten. Schnakenbach war im zweiten Weltkrieg nicht in die Versuchung gekommen, eine Todestaste niederzudrücken, und dieser Krieg war eben nicht sein Krieg gewesen, aber er hatte Pillen geschluckt. Es waren Wachhaltepillen, die er schluckte, Pillen, die ihn, in genügender Menge genommen, Tage, Wochen, Monate fast ohne Schlaf verbringen ließen, so daß er endlich durch den dauernden Schlafentzug in einen solchen Zustand des körperlichen Verfalls geraten war, daß ihn selbst ein Militärarzt als untauglich von der Musterung wieder nach Hause schicken mußte. Schnakenbach verfiel nicht dem Kommiß, nicht diesem Atavismus der Menschenentwürdigung, aber er blieb, auch als der Krieg zu Ende war, den Drogen verfallen. Seine Hypophyse, die Nebenniere steuerten verkehrt, die Organe traten gegen die Konkurrenz der Chemie in Streik und streikten beharrlich weiter, als die Musterungskommission aufgelöst und die Gefahr, Soldat zu werden, in Deutschland für eine Weile nicht vorhanden war. Schnakenbach war schlafsüchtig geworden, der Schlaf rächte sich an ihm, ein tiefer Schlaf war über ihn gekommen, er schlief, wo er ging und stand, und er

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