Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
Schriftsteller. Was tat er hier hinter den Fahrrädern? Lauerte er ihm auf? Philipp erkannte Edwin, und nach dem ersten Augenblick der Überraschung dachte er ›dies ist die Gelegenheit ihn zu Sprechern. - ›Wir können unser Gespräch führen‹, dachte er. ›Edwin und ich, wir wollen uns unterhalten, wir werden uns verstehen; vielleicht wird er mir sagen, was ich bin.‹ Aber schon floh Philipp die Hoffnung, die Verwirrung triumphierte, die Verblüffung, Edwin hier im Hof des Hotels zu sehen, und er dachte ›es ist lächerlich, ich darf ihn jetzt nicht ansprechen‹, und statt vorzutreten, ging er einen Schritt zurück, und auch Edwin trat zurück und dachte dabei ›wenn dieser Mann jung wäre, könnte er ein junger Dichter sein, ein Verehrer meines Werkes‹, und es war ihm nicht bewußt, wie lächerlich der Gedanke und seine Formulierung war, zu Papier gebracht, hätte Edwin den Satz nie gelten lassen, er wäre errötet, doch hier im Unsichtbaren Schwebenden des gerade buhlenden Gedankens siegte nicht Überlegung, sondern der Wunsch, ja, er hätte es begrüßt, in dieser Stadt einen jungen Dichter zu treffen, einen Strebenden, einen Nacheifernden, er hätte gern einen Jünger gefunden, einen Dichter aus dem LandeGoethes und Plauens, aber der hier war ja kein Jüngling mehr, kein strahlend Gläubiger, der eigene Zweifel, die eigene Trauer, die eigene Sorge standen dem andern im Gesicht geschrieben, und beide dachten sie im Hof des Hotels, geflohen vor der Gesellschaft der Menschen, ›ich muß ihn meiden ‹. Philipp war schon eine Weile im Hofe. Er konnte nicht hinaus. Er zögerte vor dem Personalausgang des Hotels, er fürchtete sich, an einer Kontrolluhr und dem Portier vorbeizugehen. Der Türhüter würde ihn für einen Dieb halten. Wie sollte er seinen Wunsch, unbemerkt aus dem Haus zu verschwinden, erklären? Und Edwin? Auch er schien ratlos zu sein. Aber im Vordergrund des Hofes stehend, fiel Edwin mehr auf als Philipp, und der Portier trat aus seinem Verschlag und rief: »Was wünschen die Herren?« Beide Dichter schritten nun, scheu zueinander Distanz wahrend, zum Ausgang, sie gingen an der Kontrolluhr vorüber, dem mechanischen Sklavenhalter, einem Stundenmesser und Arbeitszähler, dem sie beide sich nie unterworfen hatten, und der Portier hielt sie für Männer, die wegen einer Frauengeschichte den Personalausgang benutzen mußten, und dachte ›Pack‹ und ›Nichtstuer‹.
Nichtstuend schwätzend träumend, kleine flache gefällige Träume in einem ewigen Halbschlummer einem Schlummer des Glücks träumend, FESCHE ENDVIERZIGERIN SUCHT HERRN IN GESICHERTER POSITION , saßen die Frauen, die von Staatspensionen, geglückten Auszahlungen bei Todesfall, Scheidungsrenten und Trennungsgeldern leben, im Domcafe. Auch Frau Behrend liebte die Stätte, den bevorzugten Versammlungsort gleichgesetzter Genossinnenschaft, wo man bei Kaffee und Sahne sich wohlig der Erinnerung an Ehefreuden, wohlig dem Schmerz des Verlassenseins, wohlig der Bitternis der Enttäuschung hingeben konnte. Carla hatte es noch nicht zu Pension und Rente gebracht, und Frau Behrend sah die Tochter mit Furcht und Unbehagen aus dem Schatten des Domturmes in das bonbonrosagefärbte Ampellicht, in diesen gemächlichen Hafen des Lebens, in die still plätschernde Bucht, in das Gehege der freundlich Versorgten, treten: eine Verlorene. Carla war verloren, sie war das Opfer, ein Opfer des Krieges, sie war einem Moloch hingeworfen, man mied die Opfer, sie war für die Mutter verloren, für die wohlanständigen Kreise der Mutter verloren, für alle Herkunft und Sitte verloren, dem Elternhaus entrissen. Aber was machte es schon? Es gab kein Elternhaus mehr. Als das Haus durch Bombenwurf zerstört wurde, hatte die Familie sich aufgelöst. Die Bande waren gesprengt. Vielleicht hatte die Bombe nur gezeigt, daß es lockere Bande gewesen waren, der aus Zufall, Irrtum, Fehlentscheidung und Torensinn geknüpfte Strick der Gewohnheit. Carla lebte mit einem Neger, Frau Behrend in einer Mansarde mit den vergilbenden Noten der Platzkonzerte, und der Musikmeister spielte, an ein Flitscherl weggeworfen, den Nutten auf. Als sie Carla gesehen hatte, blickte Frau Behrend beunruhigt in die Runde, ob Freundinnen, Feindinnen, Freundfeindinnen, Bekannte in der Nähe saßen. Sie zeigte sich nicht gern mit Carla in der Öffentlichkeit (wer weiß? vielleicht erschien auch noch ihr Neger, und die Damen im Café würden die Schande sehen), aber noch mehr fürchtete Frau
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