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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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war nicht die Höhle die Aladin fand. Keine Wunderlampe brannte. Herr Schellack, der Juwelier, sagte: »Nein.« Sein gewaltiges Kinn war mit Puder geglättet. Er hatte ein Gesicht wie ein Mehlsack. Hätte Emilia die Wunderlampe des hübschen Aladin besessen, der Sack wäre geplatzt, ein böser Geist, der Wächter der Schätze, entschwunden. Was hätte Emilia getan? Sie hätte das Plaid mit Gold und Edelsteinen gefüllt. Keine Angst, ihr Juweliere, es gibt keinen Zauber; es gibt Pistolen und Totschläger, doch Emilia wird sie nicht gebrauchen, auch habt ihr eure Alarmanlagen, die aber nicht vor dem Teufel schützen, der euch holen wird. Herr Schellack blickte wohlwollend auf Kay, eine vielversprechende Kundin, eine junge Amerikanerin, vielleicht Rockefellers Enkelkind. Sie betrachtete Korallen und Granaten. Der alte Schmuck lag auf Samt gebettet. Er erzählte von den Familien die ihn besessen, von den Frauen die ihn getragen hatten, er berichtete von der Not die ihn verkaufen mußte, es waren kleine Maupassantgeschichten die er erzählte, aber Kay hörte nicht zu, sie dachte nicht an unter der Wäsche in der Kommode versteckte Schmuckschatullen, nicht an Geiz Erbschaften und Leichtsinn, nicht an den Hals schöner Frauen, nicht an ihre vollen Arme, ihre feinen Handgelenke, nicht an die einst gepflegten Hände, die manikürten Fingernägel, nicht an den Hunger der mit Augen das Brot im Fenster des Bäckers verschlingt, sie dachte ›wie schön ist die Kette, wie funkelt der Reif, wie glitzert der Ring, wie leuchtet das Geschmeiden Mondbleich, aus Perlen, Email und diamantenen Rosen gefügt, lag das Geschmeide vor Schellack, dem Gepuderten, und wieder sagte er, wieder zu ihr gewandt, der Glanz des Wohlwollens, der für Kay geleuchtet hatte, war erloschen, wie ausgeknipst, eine ausgeknipste mattierte Glühbirne, wieder: »Nein.« Herr Schellack wollte das Geschmeide nicht kaufen. Das sei Großmutterschmuck, sagte er. Es war Großmutterschmuck, Geheimer Kommerzienratsschmuck; Großmutterschliff, Großmutterfassung, Geschmack derachtziger Jahre. Und die Diamantrosen? »Nichts wert! Nichts wert!« Herr Schellack hob die kurzen Arme, die dicken Hände, Hände wie zwei fette Wachteln; es war eine Geste, die fürchten ließ, Herr Schellack würde versuchen zu fliegen, er würde versuchen, vor lauter Bedauern und Enttäuschung davonzufliegen. Hörte Emilia ihm zu? Sie hörte ihm nicht zu. Sie sah ihn nicht mal an. Seine Gesten entgingen ihr. Sie dachte ›wie nett sie ist, sie ist sehr nett, sie ist ein wirklich nettes Mädchen, sie ist das nette Mädchen das ich vielleicht hätte werden können, sie freut sich daß alles so schön rot ist, rot wie Wein rot wie Blut rot wie junge Lippen daß es so glitzert und funkelt, noch überlegt sie nicht daß sie nichts für den Schmuck bekommen wird wenn sie ihn einmal verkaufen muß, ich weiß Bescheid, ich kenne mich aus, ich bin ein alter Handelsmann, ich liebe die bunten Steine aber ich würde sie mir nie kaufen, sie sind eine unsichere Anlage zu sehr der Mode unterworfen, nur Brillanten geben einige Sicherheit, der neueste Schliff der Parvenügeschmack triumphiert, und Gold eben, reines Gold, das sich hinzulegen hat Sinn, solange ich Gold und Brillanten habe brauche ich nicht zu arbeiten, ich will nicht vom Wecker geweckt werden, ich will nie sagen «verzeihen Sie, Herr Bürovorsteher, entschuldigen Sie, Herr Werkmeister, ich habe die Straßenbahn versäumt», dann hätte ich die Straßenbahn versäumt, wenn ich das je sagen müßte, die Bahn meines Lebens, nie! nie! nie! und du meine Schöne und Nette, du mit deinen Korallen und Granaten, Herr Schellack wird viel von dir verlangen für die Ringlein und Kreuzlein, für die Kettchen und die Anhänger, aber geh mal zu ihm, meine Süße, komm mal und biete ihm dasselbe Ringchen, dieselbe Kette an, tu's doch, biet sie ihm an, er wird dir sagen, daß deine hübschen Granaten und Korallen nichts wert sind, garnichts, da lernst du's, da weißt du's, du Unschuldslamm, du Unverschämte aus Amerika‹. Emilia nahm ihr Geschmeide vom Ladentisch zurück. Herr Schellack sagte mit trägem Lächeln: »Ich bedaure, gnädige Frau.« Er dachte,sie würde gehen. Er dachte ›schade, so kommt die Kundschaft herab, ihre Großmutter hat den Schmuck bei meinem Vater gekauft, sie wird zweitausend Mark gezahlt haben, zweitausend in Gold‹. Emilia aber ging nicht. Sie suchte die Freiheit. Für einen Augenblick wenigstens wollte sie frei sein. Sie wollte frei

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