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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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dachte ›und-der-Beutel-schlapp-und-leer‹. Es war ein Studentenlied. Behudehatte es nicht gesungen. Er hatte überhaupt keine Studenten] Jeder gesungen. Aber der Beutel war schlapp und leer. Er selber war schlapp, leer, er, Doktor Behude, nach jeder Sprechstunde war er schlapp und leer. Und der Beutel war es auch. Zwei Patienten hatten Behude wieder angepumpt. Behude konnte sie nicht abweisen. Er behandelte ja die Leute wegen Lebensuntüchtigkeit. ›Dieser Nazi ist auch schlapp und leer‹ dachte er. Er bestellte noch einen Wodka. »Nun wird's bald wieder losgehen«, sagte der Nazi. »Was denn?« fragte Behude. »Nun, Tschindradada«, sagte der Nazi. Er tat, als ob er eine Pauke schlüge. ›Sie haben wieder Oberwassers dachte Behude, ›was auch geschehen mag, es treibt sie nach oben.‹ Er trank den zweiten Wodka und schüttelte sich wieder. Er zahlte. Er dachte ›wäre ich nur zur alten Dirne gegangen‹ aber sein Geld reichte nicht mehr zur alten Dirne.
    Emilia stand im Stehausschank der alten Dirne. Sie hatte nach Hause gehen wollen. Sie hatte nicht betrunken nach Hause kommen wollen, weil Philipp dann schimpfte oder manchmal auch weinte. Philipp war in letzter Zeit hysterisch. Es war verrückt von ihm, Emilias wegen besorgt zu sein. »Ich vertrage schon einen Stiefel«, sagte Emilia. Sie kannte die Zweiteilung Doktor Jekyll und Mister Hyde, die Philipp mit ihr vornahm. Sie wäre gern als Doktor Jekyll zu ihm gekommen, als der liebe gute Doktor. Sie hätte Philipp dann gesagt, daß noch etwas von dem Geld des Leihamtes, etwas von dem Geld der Königstasse, etwas von dem Geld des Gebetsteppichs übriggeblieben sei. Man würde die Lichtrechnung wieder mal zahlen können. Sie hätte Philipp dann von dem Schmuck erzählt, den sie verschenkt hatte. Philipp hätte das verstanden. Er hätte auch verstanden, warum sie sich, als sie der grünäugigen Amerikanerin den Schmuck umhängte, so frei gefühlt hatte. Aber im ganzen war es doch ärgerlich gewesen. Philipp würde es ihr gleich sagen »du hättest weglaufen müssen. Du hättest ihr denSchmuck umhängen und dann weglaufen müssen.« Philipp war ein Psychologe. Das war wunderbar, und das war ärgerlich. Man konnte Philipp nichts verbergen. Es war besser, man erzählte ihm alles. ›War um bin ich nicht weggelaufen? weil ihr Mund so gut schmeckte, weil er so frisch und frei nach Prärie schmeckte, mach ich mir was aus Mädchen? nein ich mach mir gar nichts aus Mädchen, aber vielleicht hätt ich so ein bißchen mit ihr geflirtet wie mit einem hübschen Schwesterlein, Streicheln, Küsse und komm-doch-noch-gut-Nacht-sagen, sie hatte auch Lust dazu, der blöde Edwin, jede menschliche Beziehung ist blöd, war ich gleich davongelaufen hätte ich mich heute wohlgefühlt, ich hätte nie mit dieser Amerikanerin sprechen dürfen, ich hasse sie jetzt!‹ Aber der Kummer hatte Emilia diesmal nicht zur alten Dirne getrieben. Emilia hätte der Lust, bei der alten Dirne einzukehren, widerstanden. Aber sie war verführt worden. Sie hatte kurz hinter dem Hotel den herrenlosen Hund mit dem n achschleppenden Bindfaden getroffen. »Du Armer«, hatte sie gerufen, »du kannst überfahren werden.« Sie hatte den Hund an sich gelockt. Der Hund witterte Emilias andere Tiere, und sofort zeigte er, daß er hier auf Stellungssuche ging; Emilia war für ihn ein guter Mensch, und seine Nase trog ihn nicht. Emilia sah, daß der Hund Hunger hatte. Sie hatte ihn in den Ausschank der alten Dirne geführt und ihm eine Wurst gekauft. Da sie schon im Ausschank war, trank Emilia einen Kirsch. Sie trank das scharfe kernbittere Kirschwasser. Sie trank es aus Lebensbitternis und wegen der Bitterkeit des Tages, der Bitterkeit der Schmuckaffäre, der Bitterkeit mit Philipp und der Bitterkeit des Fuchsstraßenheims. Die alte Dirne war freundlich, aber auch bitter. Emilia trank mit der alten Dirne. Emilia lud die alte Dirne zum Trinken ein. Die alte Dirne war wie ein gefrorener Wasserstrahl. Sie hatte einen großen Hut auf, der wie der erstarrte Wasserkranz eines Springbrunnens war, und dann hatte sie jettbesetzte Handschuhe an. Das Jett auf den Handschuhen klirrte beijeder Bewegung der Hände wie Eis; es klirrte wie kleine Eisstückchen in einem Becher, den man schüttelt. Emilia bewunderte die alte Dirne. ›Wenn ich so alt bin wie sie, werde ich lange nicht so gut aussehen, ich werde nicht halb so gut aussehen, ich werde auch keinen Stehausschank haben, ich werde mein Geld in ihrem Stehausschank

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